Zum Jahrtausendwechsel: Lounge-Pakete des Grauens

Das waren noch Zeiten, als Ossi Urchs uns für billig Geld den Minister for Future machte. Inzwischen naht kostenfrei „ein unumstritten großartiges Ereignis in der Geschichte der Menschheit“, der Jahrtausendwechsel nämlich, und die Fluppenfirma West läßt die Textmaschine gigageil turbofuturemäßig aufheulen. „Im Jahr 1997 stattet das Jahr 2000 Berlin und der ganzen virtuellen Welt drei kleine Besuche ab, mit Musik und Gesang, mit Proteinen und Links, mit Chill Trees und neuen Zeitschriften, mit futuristischem Environment und gesampelten Trompeten“, also quasi mit allem und jedem, was drumbasst, triphopt und ramshacklet, zugleich aber wohnzimmertauglich genug ist, um dem Internet seinen unverdauten Modernismus um die Ohren zu blasen – inclusive Resthirn von dir und mir.

Body, Mind und Spirit heißen die heute, am 20.9. und am 4.10. in angesagten Berliner Venues installierten Erlebnis-Lounges (im Bild ein Versuchsstadium der Berliner Gruppe mediamorph), mit Barkeepern drin, die „das anstehende neue Jahrtausend längst als pralle Vision, als satte Quelle der Lebensfreude für sich angenommen haben“ – ach was, „angenommen“: In ihren Aktionen „bündeln sich die faszinierendsten Visionen des nächsten Jahrtausends – als Appetizer sozusagen“.

Weil man nicht weiß, wer sich solche Texte ausdenkt, es aber trotzdem so ist, wie es ist, vermischen sich in den „West Millennium Lounges“, zur „Post-Rave-Feier- Form“ emporgejazzt, nicht nur Curd Duca und die Queen of Humbug (heißt so!), sondern auch der feuilletonfreundliche Elektrolurch Scanner mit Soundozeantheoretiker David Toop mit Jammin' Unit mit James Bong mit Asian Undergroundler Talvin Singh und dem Merve Verlag zu einem „globalen Gebrodel“, das gleichermaßen „die Sinnsuche und die Sinnlichkeit“ in sich verklappt. Jemand vergessen? Dann nehmt noch dies: „Basteln mit Laura Kikauka aus Kanada, Freestyle Soundz mit DJane Barbara Hallama, Skulpturen von Daniele Piciotto, Sumerische Geschichte und eine Live-Übertragung aus der Kochstation machen deutlich, wie offene Strukturen in einer Party faszinierende Spannungsverhältnisse erzeugen.“ Tech-Sprech als universelles Makramee schleichend softschamanistischer Sinnversuppung. Better watch out for the real future! Ihr werdet euch schämen für eure Lounge-Pakete! tg