Tageszeitungen machen Politik

■ Hamburgs Printmedien und der NDR beherrschen die Meinungsbildung im Wahlkampf, Privatfunk bleibt außen vor

Über die Bildröhren flimmern RTL, SAT 1 und Pro 7, im Äther regieren Radio Hamburg, Alsterradio und NDR-2-Gedudel: Im täglichen Medienkonsum der Hamburger Wahlbevölkerung haben Privatfunk und politfreie Sendungen inzwischen deutlich die Führungsrolle übernommen. In der politischen Meinungsbildung aber beherrschen die traditionellen Tageszeitungen und die wortlastigen Politprogramme die Szene – und dies stärker denn je.

Dies ist die Kernaussage einer Studie zur „landespolitischen Berichterstattung“der elektronischen Medien in Hamburg, welche die Hamburgische Anstalt für Neue Medien jüngst erstellt hat. Die Analyse der Informationsbeschaffung, der Kommunikationsstrukturen und der Leitbilder von Journalisten, ergänzt um Interviews mit Politikern und ÖffentlichkeitsarbeiterInnen zeitigte Ergebnisse, die in ihrer Deutlichkeit selbst Insider überraschten:

* Private elektronische Medien beziehen ihre Basisinformationen hauptsächlich aus Hamburger Tageszeitungen;

* Die Polit-Info-Szene aus Politik, Öffentlichkeitsarbeit und landespolitischen Journalisten sieht in Abendblatt, Bild, taz, Mopo sowie im Hörfunkprogramm NDR-1-Hamburg-Welle und im Hamburger Journal des TV-Programms N 3 die mit deutlichem Abstand kompetentesten und einflußreichsten Medien der Stadt;

* Unter den 15 einflußreichsten Journalisten der Stadt befinden sich mit Ausnahme eines NDR-Redakteurs ausschließlich Print-Journalisten.

Zwar mahnen die Medienforscher Otfried Jarren und Patrick Donges in ihrer Studie, „die politischen Akteure haben sich nicht – oder noch nicht hinreichend – auf die neuen Programmveranstalter und ihre Programme eingestellt.“Daß die Dominanz der „alten“Medien in Sachen Politik allerdings keinesfalls allein der Ignoranz der politischen Klasse geschuldet ist, sondern wohl hauptsächlich auch der redaktionellen Arbeit im Privatfunk selbst, zeigen die Forscher deutlich auf.

Mangelnde Kompetenz und mangelnde Recherche werden von den Privatfunkern freimütig selbst eingeräumt. Ihre „Anstöße“für landespolitische Berichterstattung bekommen sie nach eigenen Angaben zuallererst aus Tageszeitungen (85 Prozent), Pressemitteilungen (73%) und Nachrichtenagenturen (52%). „Eigenrecherche“, „eigene Eindrücke“und „Anregungen des Publikums“spielen bei gerade mal 20 bis 25 Prozent der privaten Funkjournalisten eine Rolle.

Die Ursachen liegen nicht zuletzt in der redaktionellen Arbeitsweise der Privaten: Die Praxis mit Allroundern, die sich um alles und nichts zugleich kümmern, Redaktionen, die diesen Namen kaum verdienen und eine hohe Fluktuation führen, so ein Befragter, „zu einer Struktur, die Journalisten nicht dazu animiert, gut zu sein“. Die privaten Medien glauben denn auch übereinstimmend: „Wir bestimmen Politik nicht mit.“

Die Privatfunker haben dabei freilich auch das Medium Radio insgesamt entpolitisiert, so die übereinstimmende Auffassung der Polit-Info-Elite, und damit vor allem dem „Haussender“des Senats , dem NDR, geschadet: Die Zersplitterung der Hörfunklandschaft habe dazu geführt, daß das Radio für die politische Meinungsbildung generell an Bedeutung verloren habe.

Die Hamburger Tageszeitungen dagegen sind die unbestrittenen „Leitmedien“der politischen Berichterstattung in allen Medien. So ist beispielsweise die taz hinter Abendblatt, Bild und Mopo für knapp 80 Prozent der Befragten als Informationsquelle „sehr relevant“beziehungsweise „relevant“. Die NDR-Hamburg-Welle kommt auf bescheidene 62 Prozent, Radio Hamburg noch auf 58 Prozent, private Fernsehsender auf unter 25 Prozent und die anderen Privatradios auf glatte null Prozent.

Und dies hat durchaus etwas mit journalistischer Qualität zu tun: Verlautbarungsjournalismus und mangelnde eigene Recherche prägen die Praxis der meisten PrivatfunkjournalistInnen. Bei Pressekonferenzen beispielsweise, so eine Beobachtung der Studie, „erscheinen sie als mehr oder weniger schweigende Zuhörer, die sich im Anschluß eine einminütige Zusammenfassung aufs Band sprechen lassen.“

Florian Marten