Kriminelle Energie im AKW

Greenpeace besetzt Atommeiler Brunsbüttel, HEW wollen den Reaktor durch Gaskraftwerk ersetzen – irgendwann, vielleicht  ■ Von Achim Fischer

Greenpeace-Aktivisten protestierten gestern auf dem AKW Brunsbüttel gegen den für heute terminierten Abtransport eines Castor-Behälters mit abgebrannten Brennstäben in die französische Wiederaufarbeitungsanlage La Hague (WAA). Am Tag zuvor hatte Manfred Timm, Chef der Hamburgischen Electricitäts-Werke (HEW), seine Ankündigung wiederholt, bei sinkenden Gaspreisen nämlichen Atommeiler durch ein Gaskraftwerk zu ersetzen. Das AKW Brunsbüttel wird von den HEW zusammen mit dem Hannoveraner Energiemulti PreussenElektra betrieben.

Rund vierzig Greenpeace-AktivistInnen besetzten gestern für mehrere Stunden das Flachdach des Reaktorgebäudes und entrollten ein Transparent mit der Aufschrift: „Atommüll aus Deutschland – Blutkrebs in La Hague: Unser Geschäft! Ihre Stromversorger“. Gegen die Protestierer wurde Strafanzeige gestellt, so HEW-Sprecher Johannes Altmeppen, weil die Aktion eine „kriminelle Machenschaft“sei.

Greenpeace vermutet die kriminelle Energie woanders: „Obwohl es die Spatzen von den Dächern der Atomkraftwerke pfeifen, daß der deutsche Atommüll für Blutkrebs bei Kindern um La Hague verantwortlich ist, liefert Deutschland ungerührt weiter Castor um Castor nach Frankreich“, sagte Green-peace-Mitarbeiter Michael Kühn. Die Forderung der Umweltschutzorganisation: „Der Export von Atommüll ins Ausland muß sofort gestoppt werden.“

Medizinische Studien an der französischen Universität Besancon haben einen eindeutigen Zusammenhang zwischen erhöhten Leukämieraten bei Kindern und Jugendlichen und den radioaktiven Emissionen aus der WAA in der Normandie ergeben.

Die Umweltorganisation fordert, den Atommüll in den AKWs selbst zu lagern. Sind die Lagerkapazitäten erschöpft, müßten die Meiler abgeschaltet werden. Die Fläche im AKW Brunsbüttel würde nach Schätzung von Greenpeace bei einem Stop der Atommüllexporte nur noch bis zum nächsten Jahr reichen.

HEW-Chef Manfred Timm nannte am Sonnabend in Itzehoe bei einer Podiumsdiskussion Brunsbüttel als erstes AKW, das durch eine Gas- und Dampfturbinen(GuD)-Anlage bei niedrigeren als den heutigen Gaspreisen ersetzt werden könnte. Einen konkreten Rohstoffpreis nannte er jedoch nicht. Gegenüber der taz hatte er vor zwei Monaten erklärt, bei Gaskosten von 1,5 Pfennigen pro Kilowattstunde (kWh) das AKW Brunsbüttel durch eine GuD-Anlage zu ersetzen. Die HEW zahlen zur Zeit nach eigenen Angaben 2,3 Pfennige je kWh Gas.

„Dieses Rumgedruckse mit dem Gaspreis ist doch nur ein Vorwand“, ärgerte sich gestern GAL-Atomexperte Axel Bühler über das Verhalten des Stromkonzerns: „Wir gehen davon aus, daß alle vier Atomkraftwerke der HEW schon jetzt unwirtschaftlich sind.“

Nach einer Studie im Auftrag der GAL rechnet sich der Ausstieg auch bei einem Gaspreis von zwei Pfennigen. „Wenn Herr Timm will, besorgen wir ihm einen langfristigen Liefervertrag über zwei Pfennige“, verspricht Bühler. Warum der Konzern noch Jahre auf einen Preis von 1,5 Pfennigen warten will, haben die HEW bis heute nicht begründet.