Die Verdener Hosen-Oma

■ Hilda Friesen ist 80 Jahre alt und führt in ihrem Siedlungshaus in Verden ein recht lukratives Geschäft: Die Hosen-Oma vertreibt Jeans, ganz ohne Umkleidekabinen

Wilhelm Boye ist enttäuscht. „Oma nu gib mi mol'n Gürtel für di kurze Büx.“Oma will nicht. „Nix. Die Büx kost' 20 Mark ohne Gürtel. Willst' handeln? Wer handelt, fliegt –raus!“Wilhelm Boye hat kein Glück. Er bezahlt 20 Mark für die Jeans-Shorts und zieht ab.

Obwohl er immer wieder mit der sturen Oma kämpfen muß, fährt Wilhelm Boye schon seit zehn Jahren von Tostedt in der Nordheide über 60 Kilometer nach Verden – um bei der resoluten Hosen-Oma einzukaufen. Die Hosen-Oma, das ist Hilda Friesen. Die 80jährige verkauft Klamotten – in ihrer eigenen Wohnung. In einem unscheinbaren Siedlungshaus am Rande von Verden führt sie ihr Geschäft.

In ihrem Haus ist eigentlich keine Stelle mehr frei. Die Jeans liegen im Wohnzimmer, im Wintergarten, in der Küche und im Flur. Jacken hat sie neben dem Klo deponiert, T-Shirts hängen auf Ständern im Flur und liegen in Müllsäcken überall herum, wo sonst noch Platz ist. Und Umkleidekabinen? Danach suchen die Kunden vergeblich. Doch das stört niemanden. Und das schon seit 27 Jahren.

Damals starb Hilda Friesens Mann, „die Blindschleiche“, wie sie ihn heute noch nennt. Als Pflegerin im Lazarett hatte sie den Blinden während des Krieges kennengelernt. „Und als die Blindschleiche nicht mehr war, mußte ich doch die Kinder und mich durchbringen“, erzählt sie. Also marschierte sie zum Ordnungsamt und besorgte sich einen Gewerbeschein. Und als „Jeanstante“klapperte sie die kinderreichen Familien in den umliegenden Dörfern ab. Kinderhosen kosteten damals 2,50, die für Erwachsene 3,50 Mark. Hilda Friesen mußte irgendwann nicht mehr zu den Kunden hinfahren, die kamen in Scharen zu ihr.

Ihre Ware bezieht sie über den Großhandel. Oft haben die Hosen den einen oder anderen Webfehler – und sind daher sehr günstig. Jugendliche gehören zu ihrer Stammkundschaft, und die wollen keinen unmodernen Plunder. Also spendet sie die Ware, die sie nicht verkaufen kann. „Das hab' ich in den letzten Jahren über einen Pastor gemacht. Der ist mit dem Zeug regelmäßig nach Rußland hin. Vor drei Jahren war ich auch mal da, weil der Priester da, der die Plünnen in Empfang genommen hat, gerade ein Geschäft gegründet hatte. Dem hab' ich dann erstmal gezeigt, wie man Hosen verkauft.“

Ein kurzer Blick, ein Griff in einen wüsten Hosenstapel – und ruckzuck ist das passende Stück gefunden. „Wat meinste, 28? Nee, du, hast doch schon ein Kind und da biste doch ums Becken rum schon –n bißchen ausgeleiert. Nimm man 29“, rät sie zum Beispiel einer jungen Schweizerin, die gerade bei Verwandten in Verden zu Besuch ist. Und dann rechnet Hilda Friesen am Küchentisch zusammen: „Dat sieht nach 30 aus, dat nach 40, hat nämlich –nen Dachschaden. Kannst rechnen? Dat macht 70. Dat Jackett is Vollviscose, kannst auch zum Autofahren anziehen. Knüddelt nich. Die schiet Leinendinger haben wir auch, weil's Mode ist, die kannst aber auch vergessen dagegen. Na und siehst, die Hose in 29 paßt. Hatte ich doch recht!“

Mittags gibt's schon mal einen Teller Erbseneintopf. Meistens für Vertreter, „weil die immer so abgemaddelt sind, wenn die hier ankommen“. Das ist ihre Art, typgerechte Geschäftsgespräche am Mittagstisch zu führen.

Aber auch weitgereiste Kunden schleppt sie in den hintersten Winkel ihrer Küche, in ihre „Imbissecke“. Da gibt's dann Kaffee, samstags auch mal mit einem Schuß Korn. Das nennt sich dann 'Tarras' „und muntert auch die Muffeligsten wieder auf“, wie sie sagt. Aber es gibt auch Zeitgenossen, die die heimelige Atmosphäre dieses Einkaufshappenings nicht schätzen und hin und wieder auch etwas mitgehen lassen. Immer wieder muß sie notorische Diebe mit Hilfe ihrer Schwiegertochter und einer weiteren Aushilfskraft überführen. Auch hat sie schon hin und wieder mit einer Zaunlatte bewaffnet im Gebüsch gelauert.

Nur einmal konnte sie sich nicht wehren. Als sie vor zwei Jahren nachts von drei Junkies überfallen wurde und gefesselt und geknebelt „laut zum Herrgott beten mußte“. Heute sitzen die Täter im Gefängnis und schreiben ihr Briefe. „Tausendmal haben –se sich schon entschuldigt. Aber das macht die Nacht auch nicht ungeschehen“, sagt sie.

Immer wieder tauchen Gerüchte aus dem Umkreis wohl neidischer Konkurrenten auf, daß es der „Hosen-Oma gar nicht gut gehe“. Nach ihrem Schlaganfall vor sieben Jahren zum Beispiel oder nach dem Überfall. „Und dann war ich mal wieder tot, das kommt auch immer wieder mal vor“, sagt sie. Nur dann ringt sie sich dazu durch, doch eine Anzeige in der Lokalpresse zu schalten. Der Text hört sich zum Beispiel so an: „Man hört jetzt allerorten, die Oma hat geschlossen ihre Pforten. Ich sage euch jedoch: Hurra, ich lebe noch!“

Anja Philipp-Kindler