Weichgespült: "Die Besessenen" von Camus in den Sophiensälen

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Weichgespült: „Die Besessenen“ von Camus in den Sophiensälen

Kurz vor seinem Tod schrieb Albert Camus die „Dämonen“ Dostojewskis zu einem Theaterstück um: „Die Besessenen“. Er ließ in der russischen Provinz den eisigen Wind des Totalitarismus wehen und gab den Romanfiguren ein Täterprofil des 20. Jahrhunderts. Das Böse entsprang nicht mehr der an der Moderne krank gewordenen Seele, sondern dem banalen Kalkül: „Das Verbrechen aus logischer Überzeugung anzuerkennen und seine Rechtfertigung zu überprüfen, dies ist ein Versuch, meine Zeit zu verstehen.“

Iris von Kluge und Ulrich Hoppe haben sich an die „Besessenen“ gewagt und das Stück mit ihrer Gruppe „Projekt 1“ in den Sophiensälen inszeniert. So einen gedankenschweren Brocken, empfehlen sie, muß man weichkochen. Eine gute Idee, eigentlich. Und gute Voraussetzungen: düstere Bühnenmusik-Collagen vom documenta-Künstler Robert Henke, zum Beispiel, dazu eine überstrenge Biedermeier-Kostümierung, die die HdK-Modeklasse von Vivienne Westwood entworfen hat.

Zwei junge Männer bringen das Gift der neuen Zeit – Atheismus und Nihilismus – in ihren Heimatort. Der eine heißt Werchowenskij und ist Camus' Idealtypus des totalitären Ideologen – ein unmenschlicher Macht-Techniker. Vorsichtig nähert der Schauspieler Stephan Lohse sich der Figur: Zuerst stakst er scheu, beinahe linkisch über die Bühne, verteilt perfide Gemeinheiten und fädelt dann unter einer grausamen Maske der Ironie sein brutales Mordkalkül ein.

Ulrich Hoppe selbst taumelt als Schönling Stawrogin weltvergessen neben ihm her. Ein Jüngelchen, das stets verneint: mit feinem, zerbrechlichem Gesicht gegenüber den Daschas, Marjas und Lisas, mit entsetzter Miene vor dem zerstörungswütigen Freund Werchowenskij. Daß sich darunter ein Ja verbirgt, merkt er erst, als es viel zu spät ist.

Man könnte mehr von diesen schön gespielten Geschichten erzählen. Doch die Strategie, die „Besessenen“ einem vorsichtigen Häutungsprozeß zu unterwerfen, die Einzelpsychologien eine nach der anderen abzuschälen und sich so zu einer Lesart des philosophisch verhärteten Kerns vorzuarbeiten, mißlingt gründlich. Zuviel passiert in den Protagonisten, zuwenig zwischen ihnen. Als Psycho-Monaden kugeln sie über die Bühne und wollen lieber ganz für sich spielen als mit dem Text von Camus.

Knapp die Hälfte des Premierenpublikums ahnte am Freitag recht schnell, daß der dekonstruktivistische Weichspülgang im Leerlauf enden würde – und ging bereits zur Pause. Kolja Mensing

Noch bis zum 14.9. in den Sophiensälen, Sophienstr. 18 (Mitte), jeweils um 21 Uhr

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