„Ein Stück Kohle“

Glatzen vertrieben binationale Familie aus dem Thälmann-Park in Prenzlauer Berg. Streit um die Kündigung  ■ Von Kathi Seefeld

Ihren Mietvertrag unterschrieben sie am 18. März: Prenzlauer Berg, Ernst-Thälmann- Park. Für Cordula M. ging ein Traum in Erfüllung. „Endlich raus aus Hohenschönhausen, endlich in ein Wohngebiet, das mir schon zu DDR-Zeiten mächtig gefiel“, freute sich die Lehrerin.

„Früher war da auf normalem Weg ja keine Wohnung zu kriegen“, resümierte sie. Nun, im achten Jahr nach der Wende, nahm ihr Mann Alexandre, der 1979 zur Ausbildung von Mosambik in die DDR gekommen und bei Cordula und ihrem Sohn Tarek „eines Tages hängengeblieben war“, die Schlüssel für das neue Zuhause von der Wohnungsbaugesellschaft in Prenzlauer Berg (WIP) entgegen. Endlich sollte es ein Arbeitszimmer, genügend große Räume für den Jungen und für Maria, ihre gemeinsame Tochter, geben. Endlich auch kurze Wege ins Kino oder Theater oder einfach nur in die Kneipe.

Die Freude über die neue Wohnung war von kurzer Dauer. „Wir hatten am folgenden Tag noch Farben und Tapeten besorgt, und abends fuhren Alex und Tarek in die Ella-Kay-Straße, um zu renovieren“, erzählt Cordula M. Während der Mosambikaner seine Fenster strich, versammelten sich vor dem Haus „Glatzen“, wie Tarek seiner Mutter später berichtete.

Anfangs waren es nur zwei, aber auf einen Pfiff hin stand binnen kurzer Zeit eine schlagkräftige Gruppe unten. Der Weg zum Auto wurde für Alexandre und Sohn Tarek zum Spießrutenlauf. Die Jugendlichen bauten sich demonstrativ vor ihnen auf. „,Neger ziehen hier nicht ein‘, haben sie mir gedroht.“ Was sie davon abhielt, ihrem Spruch noch Nachdruck zu verleihen, konnte Alexandre später nur vermuten. An jenem Abend hatte der stattliche Mosambikaner nur einen Wunsch. „Weg hier, so schnell wie möglich.“

Das Gespräch im Familienkreis war bitter. „Uns war klar, wir können da auf keinen Fall hinziehen“, erzählt Cordula. All die Geschichten kamen wieder hoch, die sie seit ihrem Zusammenleben mit Alexandre erleben mußte. Wie der Vater eines ihrer Schüler in den Kinderwagen glotzte und zu seinem Kumpel sagte: „Guck mal, ein Stück Kohle!“ „Schade, daß wir eine Zentralheizung haben“, hatte der andere gemeint. Oder die Diskussionen mit Tarek, der sich offen zu seinem „Linkssein“ bekennt, der weiß, welche Ecken und Straßen er in Hohenschönhausen meiden muß, und der sich am liebsten bewaffnen würde.

Am Morgen nachdem die Skins aufgetaucht waren, gingen Cordula und Alexandre als erstes zur Polizei. Auf der Wache in Hohenschönhausen bedauerten die Beamten den Vorfall außerordentlich. „Eine Anzeige konnten sie allerdings nicht entgegennehmen. Es sei niemand verletzt worden, hieß es“, schildert Cordula den Besuch. „Die Polizisten empfahlen uns zudem, falls wir wiedermal eine Wohnung suchten, sollten wir uns vorher an die Dienststellen wenden, die in jedem Bezirk Berlins Auskunft darüber geben, welches rechte und welches linke Wohngebiete sind und wo es für Ausländer ungefährlicher ist.“

Der nächste Gang war der zur WIP. Sie wollten die neue Wohnung umgehend kündigen. „Das war natürlich erst mal kein Problem“, erzählt Alexandre. „Allerdings: Die Kündigungsfrist beträgt drei Monate. Daran könne man nicht rütteln, erklärte uns die zuständige Sachbearbeiterin.“ Für die Familie, die nunmehr in Hohenschönhausen wohnen blieb, bedeutete dies: drei Monatsmieten zusätzlich.

„Wir waren wie gelähmt, Alex plagten zudem wahnsinnige Schuldgefühle, weil ich mich so auf die Wohnung gefreut hatte“, erinnert sich Cordula. Nach vier Wochen zahlten sie. Beträge, die sie sich eigentlich gar nicht leisten konnten. Erst auf ein Sonderkonto, dann – die WIP erneuerte ihre Forderungen – doch an die Wohnungsbaugesellschaft.

Hinnehmen, wegstecken, so, wie sie es schon so oft getan hatten? Mit der Tatsache, daß die „Glatzen“ es geschafft haben, ihre Familie einfach zu vertreiben, können sie leben, meint Cordula. „Es sind die Kinder. Wir dürfen da kein Risiko eingehen.“ Aber die Sache mit der Kündigung? „Natürlich konnten wir der WIP keinen Vorwurf machen für einen Teil der Bewohner im Thälmann-Park, aber Verständnis und Entgegenkommen hatten wir unter diesen Umständen erhofft.“

Alexandre durchbrach die Starre. Er wollte diesmal nicht stillhalten und bat den Ausländerbeirat Prenzlauer Berg um Unterstützung. Über den Ausländerbeirat wurde das Bezirksamt mobilisiert. Letztlich schaltete sich selbst Bürgermeister Reinhard Kraetzer ein, der Diskriminierung und Ausländerfeindlichkeit in seinem für Toleranz und Multikultur bekannten Bezirk nicht unwidersprochen hinnehmen wollte. Über die PDS im Abgeordnetenhaus erfuhren Cordula und Alexandre M. auch vom Büro gegen ethnische Diskriminierung in Berlin und Brandenburg, dessen Geschäftsführer Ali Fathi sich schließlich ebenfalls an die WIP wandte.

Vor ein paar Tagen war das Geld auf dem Konto. Stillschweigend hatte die WIP die Miete rücküberwiesen. „Bei uns war alles im Urlaub, und da der Geschäftsführer die Sache angewiesen hatte, sollte es ganz schnell gehen“, erklärt die Sprecherin der Wohnungsbaugesellschaft Eva-Maria Kunitz. „Wir wollten die Sache auch gar nicht so an die große Glocke hängen. Ein Einzelfall schließlich.“ Schade, meint dagegen Cordula M. „Wir hätten uns gern noch mal bei der WIP für ihr Entgegenkommen bedankt.“

Die neuen Teppichböden wurden inzwischen an gute Bekannte abgetreten. Möbel, die das Paar sonst gar nicht angeschafft hätte, machen sich in der alten Wohnung breit. „Hier werden wir wohl die nächsten Jahre bleiben, bis Tarek das Abi beendet hat und Maria nach der sechsten Klasse die Schule wechseln muß.“ Im Ostteil der Stadt wollen Cordula und Alexandre allerdings keine Wohnung mehr suchen.