„Ich kann damit nicht mehr zufrieden sein“

■ Nach dem sehr glücklichen und sehr ernüchternden 1:1 gegen Portugal wirft der gefrustete DFB-Trainer Berti Vogts den Rettungsanker aus. Sein Name: Olaf Thon

Berlin (taz) – Da saß er nun und muffelte mächtig. So schlecht gelaunt hat man selbst den DFB- Trainer selten erlebt. „Die Mannschaft“, ächzte Berti Vogts vom Rostrum herab, „wird in Dortmund ein anderes Gesicht haben.“ Rätselraten allenthalben. Gestern morgen war das Quiz aufgelöst. Das Gesicht ist ein gemeinhin heiteres und gehört – Olaf Thon (31). Der Schalker Libero rückte noch am Abend zusammen mit dem Kollegen Thomas Linke ins DFB- Quartier ein.

Hinter Thons Berufung kann man getrost mehr vermuten, als das Auffüllen des Kaders, der dezimiert ist durch die Gelbsperren von Kohler und Ziege, die Bauchmuskelverletzung Reuters und den Schwangerschaftsbereitschaftsdienst von Babbel. Vogts hat bereits seit einiger Zeit ein grundsätzliches Problem, dem er sich aber offenbar nach dem sehr glücklichen 1:1 gegen Portugal nicht mehr verschließen mag. Das Spiel der Deutschen war zwar nicht so schlecht, wie hinterher alle taten. Es offenbarte aber erneut: Die Balance stimmt nicht mehr. Das betrifft insbesondere die Defensivarbeit. Die Balance zwischen Libero Sammer und den beiden Abräumern Helmer und Eilts war eine Grundlage für den EM-Titel. Nun fehlt Sammer meist verletzt, Eilts ('96) gibt es nicht mehr – und Helmer muß als Libero sehen, wo er bleibt.

Was Vogts am Samstag ersatzweise taktisch probierte, konnte das Personal (Ziege, Reuter, Nowotny) nicht umsetzen. Manndecker Kohler mußte zurückdenken, bis zum WM-Gruppenspiel 1990 gegen Kolumbien, um eine ähnliche Überlegenheit des Gegners zu entdecken. Die „Art und Weise, wie die Portugiesen Fußball zelebrierten“ (Vogts), die Deutschen nicht, hat den DFB-Trainer aber weniger verstört, als das Ausbleiben der bewährte Stärke: das Beißen. „Meilenweit“ sah Vogts seine Spieler vom Gegner weg, den man spielen und kommen ließ, statt ihm – wie besprochen – ihn dessen Hälfte den Kragen zuzuschnüren. „Wenn wir vorne draufgingen“, sagte Jürgen Klinsmann, „haben wir gesehen, daß eigentlich keiner hinter uns war, der hilft.“

Nun haben natürlich die Bundesliga-Spitzenkräfte Sammer und Möller gefehlt, andererseits darf man es für immer wahrscheinlicher halten, daß Vogts mit dem alten Team nichts mehr gewinnen kann – und ein neues nicht findet. Langjährige treue Kräfte wie Reuter und womöglich Häßler fallen ab, neue wie Nowotny sind nicht gut genug.

Es ist ja nicht so, daß die WM- Qualifikation in Gefahr wäre: Portugal wird wohl zusehen müssen, dem DFB genügen vier Punkte aus den Spielen gegen Armenien und Albanien. Aber Vogts bekommt so langsam Angst. Zuletzt hat er zweimal einen Hattrick-Torschützen eingewechselt. Diesmal verpaßte der starke Rui Costa zunächst allein vor Köpke das 2:0, dann bekam er eine gelb-rote Karte, die Vogts „nicht nachvollziehen“ konnte. Schließlich traf der eingewechselte Kirsten auf Vorlage des eben eingewechselten Wosz zum 1:1. „Wie lange das Glück hält“, seufzte Vogts, „weiß ich nicht.“ Die Spieler hoffen offenbar mehrheitlich, nach erfolgter Qualifikation würde sich die nötige Leistung schon ergeben. Daß der nibelungentreue Vogts aber, nachdem er sich so lange weigerte, übermorgen tatsächlich Thon ranläßt („Natürlich wird er spielen“), ist eine Drohung, wenn auch vermutlich eine leere. Es soll das ausdrücken, was Vogts in Berlin über die Leistung seiner Etablierten formulierte: „Ich kann damit nicht mehr zufrieden sein.“ pu

Deutschland: Köpke – Helmer – Kohler – Heinrich (79. Wosz), Reuter (46. Babbel), Nowotny, Ziege – Basler, Häßler – Klinsmann, Bierhoff (70. Kirsten)

Portugal: Silvino – Paulinho Santos, Beto, Helder, Dimas – Paulo Sousa, Oceano (84. Pauleter) – Figo, Rui Costa, Pedro Barbosa - João Pinto (78. Sergio Conceicao)

Schiedsrichter: Marc Batta (Frankreich)

Zuschauer: 75.800 (ausverkauft)

Tore: 0:1 Barbosa (71.), 1:1 Kirsten (81.)