Malt dann lieber einen Leberkäse

■ Bißchen Tibet ist immer: Herbert Achternbuschs „Picasso in München“ hat die Dignität eines manchmal etwas sehr weisen, sinnlichkeitsvernarrten Alterswerks

In den zwei Jahren seit seinem letzten Film „Hades“ war es etwas still um Herbert Achternbusch geworden. Sieht man mal ab von einer bizarren Heiratsanzeige, die er wohl in trauriger Stimmung in die Zeit setzen ließ, diversen Ausstellungen, einem Theaterstück und ein, zwei Büchern.

Vor allem hatte Achternbusch jedenfalls in den letzten Jahren gemalt. Schöne Bilder, ruhige Bilder, die ein bißchen an Keith Haring denken ließen. Bißchen Tibet war auch drin. Manchmal war einem das alles schon wieder zu entspannt und irgendwie zu – sinnlichkeitsvernarrt.

Das und die Jahre (mittlerweile ist er 59) und die kurzgeschorenen weißen Haare haben den eher weichen, bäuerlichen Ton des Gesichts des wahrscheinlich produktivsten deutschen Gegenwartskünstlers stärker herausgearbeitet. Inzwischen erinnert er tatsächlich ein bißchen an Picasso. Deshalb heißt sein mittlerweile 24. Film auch „Picasso in München“. Bißchen problematisch, denn im Gegensatz zu den meisten anderen Figuren, die Achternbusch in seinen Filmen bislang verkörperte – erfolglose Schriftsteller und Lehrer, Kommantschen, sprachlose Deppen, Hitler oder auch sich selbst als Text und Bewegung –, scheint er sich plötzlich zu identifizieren. Noch dazu mit der Lieblingskünstlerexistenz aller Feuilletons. Das ist ein Problem, und es sollte auch zu denken geben, daß die Zeit Achternbusch inzwischen sehr lobt.

Picasso lebt jedenfalls in München, wo er seine gelbe Phase nachholen möchte. Seine Atelierräume sind tausendwassermäßig durchgehend kunstvoll gestaltet. In Picassos, also Achternbuschs Bildern dominiert natürlich Schwarz und nicht Gelb.

„Picasso“ liebt viele Frauen und lernt in einem Café die schöne Takla Basch (Doris Jung) kennen, die als Sprecherin beim Bayerischen Rundfunk arbeitet. Er möchte sie malen und auch ein Filmprojekt beginnen, in dem er gern mit ihr als Kuh durch die Luft fliegen würde. Erst soll sie sich ausziehen, dann wieder doch nicht. Dann malt er lieber einen Leberkäse (nach dem Film rennt man los und kauft sich auch einen).

So ist die Liebe des Künstlers, und die Liebe ist schwer, denn Takla ist eigentlich das Ergebnis einer New Yorker Affäre des Malers. Wenn man sich in der Wirklichkeit nicht liebhaben darf, dann vielleicht im Film. Dann wieder doch nicht: Am Ende stürzt Takla Basch von einer Leiter und stirbt im Englischen Garten. Rot und Grün psychedelisch nebeneinander gesetzt, als wäre die Einstellung vom italienischen Horrorfilmmeister Dario Argento. Weil Takla nicht sterben darf, stirbt Picasso für sie. Dann kann sie wieder leben. Der Vertauschungsvorgang variiert die wunderbaren S-8-Szenen aus Achternbuschs letztem Film „Hades“.

Ein echter Achternbusch, möchte man da sagen, mit echten Achternbusch-Szenen: Am Anfang ist Takla Basch beim Psychiater Brösel (Josef Bierbichler). Der hat einen Arztkittel an und sagt: „Ich will Sie untersuchen.“ Sie sagt: „Ich will mit Ihnen schlafen.“ Wer mag, kann den Geschlechtsverbindungsvorgang hinter einem Arztpraxenvorhang einen melancholischen Slapstick nennen, in dem man nur die wackelnden Beine der Frau und die heruntergelassenen Hosen des Mannes sieht. „Entschuldigen Sie, jetzt habe ich Sie aufs Arschloch geküßt“, sagt der Arzt dann, oder er will sich zurückziehen, „sonst falle ich morgen wieder in eine tiefe Depression“. Die Frau des Psychiaters (Barbara Gass) heißt „Fregatte“. Im Streit kraucht der Psychiater auch mal auf dem Boden herum; irgendwann werden auch noch drei Männer entmannt, weil Achternbusch eigentlich auch ein Frauenfilmer ist.

Lange Zeit waren Achternbuschs Filme existenzielle Notwehr des Künstlers; inzwischen ist er im souveränen Alterswerk angelangt. Manchmal denkt man tatsächlich an Eric Rohmer.

„Picasso in München“ ist sehr entspannt, so entspannt, wie man es sich wünscht, daß es wäre, wenn man mit sechzig alte, gute Freunde nach vielen Jahren wiedersieht. Und dann eben nicht die ganze Zeit erstarrt, vergreist und blöd geworden über alte Zeiten spricht, als sei das, was dazwischen war und zur Gegenwart geführt hat, wertlos, sondern man träumt ja davon, einander gleichzeitig neu und vertraut zu begegnen. Die Vergangenheit ist da, das ist nicht zu leugnen, doch man wünscht sich manchmal, so unaufgeregt mit ihr umgehen zu können, wie Achternbusch in seinem neuen Film seine alten Filme zitiert: die weißen Stiefel aus „Hick's Last Stand“ oder das Pepperoni-T-Shirt aus „Der Depp“, die Eisbären aus „Die Atlantikschwimmer“ oder eben die sympathische Crew: Barbara Gass, Franz Baumgartner, Micki Joanni usw.

„Picasso in München“ hat auch etwas von einer glücklich abgeschlossenen Gegenwart. Und kommt so manchmal auch etwas sehr altersweise daher: In einer Schlüsselszene des Films ist Takla Basch beim Psychiater. Der hat ihr ein Taschentuch hingelegt. Da soll sie assoziieren. Bei jeder Ecke des Taschentuchs sagt sie angemessen tonlos: „I don't know.“

Natürlich ist „Picasso in München“ ein schöner Film. Am besten gefiel mir eine mit Handkamera gefilmte bläulich hingewischte Orchidee am Fenster, die für ein paar Minuten ganz wehmütig aussah und eigentlich mit dem Rest wenig zu tun hatte. Detlef Kuhlbrodt

„Picasso in München“. Regie: Herbert Achternbusch