Harte Wendungen

Von Auschwitz bis Mauerfall: „Deutschlandbilder“ in Berlin – eine brillant inszenierte Ausstellung  ■ Von Brigitte Werneburg

Es ist der Plural, der im Titel der großen Kunstausstellung dieses Herbstes bedeutsam ist. Die Vielfalt der „Deutschlandbilder“ steht im Gegensatz zu einer „Berliner Republik“, die da kommen soll, irgendwie bedenklich preußisch, bedenklich zentralistisch, und die sich womöglich in der großen Einigkeit des Deutschen Bundesrats über das Thema Innere Sicherheit schon angekündigt hat.

Das Anliegen des Kurators Eckhart Gillen ist es jedenfalls nicht, mit den „Deutschlandbildern“ Staat zu machen. Denn zuerst ist ein Kernpunkt der Schau im Martin-Gropius-Bau, daß es seit 1945 gleich zwei deutsche Staaten gab – vierundvierzig Jahre lang. Freilich fühlt man sich beim Rundgang durch die Säle ähnlich wie bei einem Spaziergang durch Berlin. Es fällt einem schwer, vor allem gegenüber Fremden, zu erklären, wo eigentlich die Mauer verlief. Der große Graben zwischen einer international weltläufigen Westkunst und einer ideologisch eingeengten Ostkunst ist nirgendwo ausgehoben. Obwohl es Gillen darum geht, die Nachkriegskunst auf ihre Händel mit der Welt hin zu befragen, setzt seine Präsentation auf die künstlerische Autonomie der jeweiligen Positionen. Die Arbeiten gehen somit im jeweiligen politischen und ideologischen Kontext nicht auf – oder unter. Hinzu kommt, die Auseinandersetzung der deutschen Künstler mit der eigenen politischen Geschichte, der Frage der Nation, Krieg, Auschwitz, Mauerbau und Kalter Krieg ist notwendigerweise eine geteilte, wenn auch keine gemeinsame.

Zunächst führen die Arbeiten von Max Beckmann, Paul Klee und Oskar Schlemmer in die Geschichte ein, die im weiteren verhandelt wird. Die innere Spaltung Deutschlands in Ausgeschlossene und Eingeschlossene, wie immer unfreiwillig und freiwillig das geschah, begann 1933, lange vor der militärischen Niederlage. Schlemmer blieb damals nur die innere Emigration. In seinem letzten Wandgemälde beschwor er Frau und Kind, als den privaten Rest, der bleibt, wenn der öffentliche Auftrag wegfällt und die Welt vor die Hunde geht. Beckmann wird seines Lehramts enthoben und sieht sich 1934 als „Mann im Dunkeln“, wie der Titel seiner Bronzeskulptur heißt, der das Eingangsmotto vorgibt.

Ohne Schwanz keine Relevanz

Wenn in den „Deutschlandbildern“ eine aktuelle ideologische Verhärtung spürbar ist, dann hier: Unter 92 beteiligten Künstlern vertreten gerade mal fünf, die Amerikanerin und Emigrantentochter Eva Hesse, Hanne Darboven, Astrid Klein, Rosemarie Trockel und Renata Stih die weibliche Sicht auf Deutschland, die sonst im dunkeln bleibt. Minka Hauschild und Penny Yassour wurden vom Jüdischen Museum eingeladen, für das Amnon Barzel einen eigenen Beitrag, „Orte der Erinnerung“, kuratierte. Deutschland muß einem offenbar angewachsen sein, wie es Georg Baselitz' „Die große Nacht im Eimer“ so trefflich zeigt. Ohne Schwanz keine Relevanz. Der geringe Frauenanteil rührt nicht zuletzt aus der etwas gewaltsamen Abspaltung der Fotografie von den „Deutschlandbildern“ her. Ihrer nimmt sich die Berlinische Galerie in „Positionen künstlerischer Fotografie in Deutschland seit 1945“ an.

Trotzdem: Nicht nur Paul Klee imaginierte 1938 „Tänze vor Angst“. Auch Hannah Höch hatte beispielsweise im gleichen Jahr schlicht „Angst“. Felix Nussbaums eindringliches „Selbstbildnis mit Judenpaß“ (1943) zeigt, was ihm Alpträume verursachte. Hans Grundig gedachte mithin seines Todes, denn „Den Opfern des Faschismus“ (1946/49) ist einmalig innerhalb der antifaschistischen Malerei der DDR, weil er den Holocaust miteinbezog.

Die einem Bildtitel Paul Klees entlehnten „Harten Wendungen“, also Niederlage, Teilung, Mauerbau, 68er Revolte, deutscher Herbst und last, not least die Wiedervereinigung fallen – entgegen der Absicht von Eckhart Gillen und Kokurator Rudolf Zwirner – im Ausstellungsrundgang erstaunlich leicht ins Gewicht. Auf merkwürdige Weise flutscht die Ausstellung. Immer bleibt sie spannend, trotz gewaltigen 500 Exponaten. Es gibt einen Sog zum einzelnen Werk, und dann vergißt man leicht, daß die Spannung zwischen Kunst und Leben in Deutschland ihr Thema ist, nicht das Kunstgeschehen allein.

Die Ausstellung ist also sehr gut gehängt und im Lichthof sogar selten brillant inszeniert. Das Verdienst kommt hier Hans Haacke zu, der sich das Haus nächst der Topographie des Terrors, dem Gelände des ehemaligen Reichssicherheitshauptamtes der SS, zum Thema nahm. Noch Ende der 70er Jahre sollte es abgerissen werden, für eine geplante Stadtautobahn. Haacke hat sie jetzt realisiert. Und damit rast eine vierzehn Meter breite, graue Betonpiste durch die Längsachse des ost-westlich ausgerichteten Lichthofs gegen die schwarze Wand von Jochen Gerz' „Exit: Materialien zum Dachau- Projekt“ (1972/74).

Vielleicht wurden die künstlerischen Nachbarschaften zu gut arrangiert, um Widerständiges deutlich zu benennen. Vis-à-vis von Hanne Darbovens „Schreibzeit – Für Rainer Werner Fassbinder“ (1982/83) erscheinen die filigranen, transparenten Wortzeichnungen von Carlfriedrich Claus weit weniger absonderlich, als sie es in der DDR der 60er Jahre tatsächlich waren. Die Grenze zwischen den zwei Deutschlands verflüchtigt sich. Auch Tübkes polyperspektivische Altmeisterlichkeit, exemplifiziert an den „Lebenserinnerungen des Dr. jur. Schultze“ (1965), dem Zyklus, der dem exemplarischen Schreibtischtäter gilt, scheint dann einfach eine mögliche malerische Reaktion auf den Frankfurter Auschwitz-Prozeß zu sein.

1967 organisierte der Galerist René Block eine „Hommage Lidice“. Einundzwanzig Avantgarde-Künstler, unter anderem Sigmar Polke, Gerhard Richter, Wolf Vostell, Blinky Palermo, Günther Uecker, Gotthard Graubner und Joseph Beuys stifteten dafür kleinformatige Bilder und Objekte, die in einem VW-Bus nach Prag geschleust wurden. Dort nach dem Einmarsch der Russen versteckt und lange vergessen, wurden die Arbeiten für „Deutschlandbilder“ restauriert und als Ausstellung in der Ausstellung rekonstruiert. Das weiße Kabinett mit Richters „Onkel Rudi“, Immendorfs „Lidl- Landschaft“ oder Polkes „Doppelporträt“ behandelt in nuce das Problem der „Deutschlandbilder“: Wieviel konkrete Politik soll oder kann im einem Kunstwerk aufscheinen, das die Welt und die Geschichte nicht mehr ignoriert?

„Lidice“ ist der Bruch der Söhne mit den Vätern, die sich nicht erinnern wollten. Danach kommt der Bruch der Söhne mit den Söhnen, wenn Jörg Immendorff und A. R. Penck eine deutsch-deutsche Freundschaft pflegen, die ein besseres Deutschland im Osten nicht kennt, dafür aber „Die Freude am Malen mit dem Wunsch, die Mauer zu überwinden, verbinden!“ Joseph Beuys stellte da noch marketingfreie Grundnahrungsmittel aus der DDR ins Regal. Die bürgerliche Museumskunst, die seine „Wirtschaftwerte“ (1980) umgeben sollen, liefern jetzt Eduard Gaertner und Anton von Werner. Dessen „Enthüllung des Richard Wagner- Denkmals“, als Hinweis auf den fatalen deutschen Hang zum Gesamtkunstwerk gedacht, läßt sich möglicherweise auch als Spitze gegen Beuys lesen.

Beim besten Willen kein Hakenkreuz

In den 80er Jahren kommt der Spott über die neue nationale Nachdenklichkeit und Betroffenheit. „Ich kann beim besten Willen kein Hakenkreuz entdecken“, witzelt Martin Kippenberger 1984. Zuvor meinte mancher in Markus Lüpertz' und vor allem Anselm Kiefers Beschäftigung mit der deutschen Geschichte eine bedenkliche Affirmation einer faschistischen Ästhetik zu erkennen. Beide funktionieren aber in der Schau erstaunlich gut, und fast meint man, ohne das – sehr unterschiedliche – Pathos, das beide beschwören, entstünde eine verdächtige Leerstelle. Die es übrigens in Hinblick auf die deutsche Wiedervereinigung gibt, die nirgendwo explizites Thema ist. Betrachtet man Olaf Metzels „Deutsche Kiste“ (1997) unter diesem Aspekt, ergeben die verkanteten, hohlen Pyramidenstümpfe aus Steinguß, deren bröckelnde Oberfläche mit Farbflecken zwischen NVA-Grün und Nato-Oliv aufwartet, eine so zeitlos-kristalline Form, daß man unwillkürlich meint, Dürers Melancholia darauf hocken zu sehen.

Den eigentlichen Abschluß der deutschen Nachkriegsgeschichte bildet aber Gerhard Richters Stammheim-Zyklus „18. Oktober 1977“, 1988 entstanden, 1989, im Jahr des Mauerfalls, erstmals gezeigt. Die fünfzehn grauen Bilder zur Todesnacht in Stammheim, die in der Neuen Nationalgalerie ausgestellt sind, werden Anfang des nächsten Jahrhunderts ins Museum of Modern Art wechseln, wohin sie Richter verkauft hat. In New York werden sie, so befürchten viele deutsche Anhänger seines Werks, nur mehr Malerei und kaum noch Politik sein. Doch vielleicht macht es auch seinen besonderen Sinn, daß diese Bilder von und aus Deutschland dann in dem Land gegenwärtig sind, das die deutsche Geschichte und die der westdeutschen Gesellschaft im besonderen nach 1945 wesentlich mitbestimmte. „Deutschlandbilder“ sind nicht allein national zu denken. Aber das konnte oder wollte die Ausstellung im Rahmen der 47. Berliner Festwochen nicht auch noch leisten.

Bis 11. Januar 1998 im Berliner Martin-Gropius-Bau und in der Neuen Nationalgalerie (mit Shuttleservice), Katalog 42 DM. Umfangreiches Filmprogramm