Zeitschlaufe statt Zahnpasta

■ Susanne Seeliger verlockt Zugreisende zum Denken über Zeit

Auch ein Beispiel für ein anderes Verhältnis zwischen Künstler und Markt: diesmal war es eben nicht eine Institution – Museum oder Unternehmen die sich ihre Kunst erwählte, diesmal war es die Künstlerin, die die Initiative ergriff und sich ihre Institutionen suchte. Susanne Seeliger hatte die Idee: An einem Ort des Durchgangs, egal ob Flughafen oder Bahnhof, müßte ein Mahnmal der Zeit alle Hektiker ins Stolpern bringen, geistig natürlich. Dacht's und „akquirierte“dafür auf eigene Faust Finanziers und Location: den HBF Bremen. Da wartet eine Künstlerin nicht lange auf Wettbewerbsausschreibungen für Kunst im öffentlichen Raum, sondern schaufelt sich selbst ihren Raum frei. Als Werbegraphikerin waren ihr schließlich die einschlägigen Grundbegriffe des Marketings vertraut.

Seeligers Zeitskulptur sieht auf den ersten Blick aus wie ein Werbeschaukasten. Die blaue Farbe des Rahmens steht in einer Reihe mit dem Blau einer Rothman-Zigarettenwerbung und den massiven blauen Balken der Sparda-Reisebank. Was wird da wohl das mistausfilternde Unterbewußtsein vieler eilender Menschen rufen? ,Nicht hingucken, totalkonzentrieren auf das Auffinden des richtigen Bahnsteigs.' Erst nachdem man umsonst nach einer Zahnpasta oder einem Handy im Glaskasten forschte, denkt man an Kunst.

Im Zentrum der Plastik steht ein Satz. Erzählen tut er von einer vor-einsteinschen, kontinuierlichen, simplen Zeitauffassung. (Wird hier natürlich nicht verraten.) Weil er sich aber dreht und in Spiegelschrift erscheint, ist er schwer zu lesen, ganz als würde er es darauf anlegen, sich selbst, seiner eigenen Schlichtheit, zu widersprechen. Bröckchenweise, vermittelt über Spiegel, muß ihn der Betrachter Mosaikstein für Mosaikstein zusammensetzen – und hat dabei viel Zeit verschwendet?, viel Zeit genutzt?

„Ich will nicht übertrieben viel. Ich wünsche mir, daß die Leute einen Moment lang stehen bleiben, sich um den Satz bemühen, darüber nachdenken, wie sie persönlich ihre Zeit verbringen, also kreativ werden.“Und tatsächlich: Leute bleiben stehen, fangen an, den Satz zu dechiffrieren, gehen wieder. Eine Frage aber bleibt stehn: Gibt ein paar Sekunden Lebenshinterfragen Sinn? Was ist zu halten von dieser neue Bescheidenheit der Kunst, diesem kurze Nachdenken über einen kurzen Satz in immer kürzer werdenden Zeiten. bk

Zu sehen ist die Installation in der Eingangshalle des Bremer Hauptbahnhofs bis 30. September