Aufklärung

■ Drei Abtreibungen als TV-Sonderfall: "Haus der stummen Schreie", 20.15 Uhr, Sat.1

Die Küche eines amerikanischen Vorstadthauses im Jahre 1952. Auf dem Küchentisch liegt die Krankenschwester Claire (Demi Moore). Für 400 Dollar läßt sie den Fötus entfernen, von einem Mann, der weder Hut und Mantel ablegt noch die Instrumente desinfiziert. Die Schlußszene wird Claire dann am Küchenboden zeigen.

Der Episodenfilm „Das Haus der stummen Schreie“, die erste aus einer Reihe von Koproduktionen mit dem US-Pay-TV HBO, erzählt drei Geschichten aus drei Jahrzehnten zum Thema Abtreibung. Das geschieht in jener überperfektionierten TV-Ästhetik, die bei handelsüblichen Stoffen schnell langweilt. In diesem Falle aber relativiert der Zweck die Mittel. Deshalb läßt sich der diesige Neunziger-sine-qua-non-Kostümfilm-Stil gerade noch hinnehmen.

So beginnt die erste Episode mit dem typischen Fifties-Bühnenbild, vor dem Claire, die Soldatenwitwe, die vom Schwager schwanger wurde, den Eingriff erträgt. Sie weiß von vornherein, daß sie keine andere Wahl hat als die illegale Abtreibung.

Dasselbe Haus, im liberaldemokratischen Jahr 1974: Barbaras (Sissy Spacek) Küche wimmelt bereits von vier Blumenkinderkindern, als sie erfährt, daß sie wieder schwanger ist. Die Entscheidung gegen eine Abtreibung (und damit für die Unterbrechung ihres ohnehin verspäteten Studiums) handelt sie mit dem eigenen Gewissen sowie mit der Tochter aus, deren aufgeklärte und frauenbewegte Rechtsbehelfsbelehrungen – eben drum – in diesem Fall das umgekehrte Ergebnis zur Folge haben.

1996 wird dasselbe Haus von Studentinnen – postfeministischen Single-Frauen – bewohnt. Die letzte Episode (in der Cher neben der Hauptrolle als Abtreibungsärztin auch die Regie übernahm) wirkt wie ein Ausschnitt aus „Melrose Place“. Erzählt wird die Geschichte von Christine (Anne Heche), die sich, schwanger von einem Professor, für eine Abtreibung in einer Klinik entscheidet. Ist der Engelmacher nun zwar endlich durch eine kompetente und mitfühlende Ärztin ersetzt, wird das Gebäude dafür vom neokonservativen Mob umstellt.

Diese – durch und durch aufs zeitgenössische Amerika zugeschnittene und durchaus nicht ohne Holzhammer, Blut und Heulkrämpfen dramatisierten – Kurzgeschichten sind zweifellos ohne rechte Raffinesse konzipiert. Die berechenbare Folgerichtigkeit des Geschehens innerhalb der einzelnen Episoden erklärt sich indes durch ihre veranschaulichende, ja didaktische Funktion. Und doch gelingt es dem Projekt, dem bevorzugt entmündigten Thema Abtreibung – gewissermaßen in Form von spielfilmgewordenen historischen Abrissen – eine Stimme zu geben. Auch die Darstellung der drei „Schicksale“ als Resultate unterschiedlicher gesellschaftlich- ideologischer Rahmen ist durchaus passabel. Vor allem aber führen die Stücke stellvertretend und sympathetisch das zeitgenössische Dilemma der ungewollten Schwangerschaft vor, die ultimative Isolation der Frauen mit sich, dem medizinischen Handbuch und der Entscheidung.

Der Film, der – nicht zuletzt aufgrund der freundlichen Mitwirkung der Hollywood-Superstars Demi Moore, Sissy Spacek und Cher – HBO den größten Quotenerfolg des Jahres 1996 einbrachte, versucht sich damit an etwas, das man am wenigsten von einem Quotenhit erwartet: an der großflächigen Vermittlung von Vernunft. Monie Schmalz