Neu: Radio sehen und Fernsehen hören

■ Verwirrende Welt des Digitalen: Nun gibt's digitales Radio, und keiner weiß wozu

So ist es regelmäßig auf der Internationalen Funkausstellung: Irgendwelche Ingenieure tüfteln jahrelang in ihren Studierstübchen und Labors und präsentieren dann stolz der Konsumentenschar ihre Entwicklung. Die Geschichte der IFA ist voll von durchsetzungsstarken Technologien auf der einen Seite und grandiosen Flops andererseits. Wer erinnert sich heute noch an Quadrophonie, an HD- MAC-Fernsehgeräte oder an die digitale Toncassette DCC?

In diesem Jahr stand neben dem digitalen Fernsehen auch das digitale Radio im Mittelpunkt. Mit DAB („Digital Audio Broadcasting“) geht schon das dritte digitale Radiosystem nach der erfolglosen Lancierung der satellitengestützten Systeme DSR (1989) und ADR (1995) an den Start. Aus den laufenden Pilotprojekten soll DAB endlich sanft in den Regelbetrieb übergehen, sobald im nächsten Frühjahr die ersten Empfangsgeräte für das neue Digitalradio via Antenne auf den Markt kommen.

Rein technologisch betrachtet stellen sich durchaus Zweifel ein, ob DAB noch zeitgemäß ist. Mit dem Standard für Digitales Fernsehen (DVB) kann man nämlich ebensogut Radio übertragen wie mit DAB. Und auch sonst das meiste, was DAB kann. Die Digitalradioentwickler halten zwar dagegen, ihr Radiostandard könne dafür nebst allerhand anderem auch Fernsehen übertragen. Nun geht es aber um den globalen Standard in Sachen Multimedia-Datenstruktur, und da hat DVB einfach mehr zu bieten.

Also eine neue Zwischentechnologie? Immerhin haben die DAB-Adepten (u.a. Bosch, Philips, Europas öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten) es geschafft, enorme politische Unterstützung für ihr System zu bekommen: 170 Millionen dürfen nach einem Länderbeschluß die Rundfunkgebührenzahler in der laufenden Periode (1997 bis 2000) für den Aufbau der DAB-Infrastruktur zahlen.

Die meisten Gerätehersteller haben sich dabei bislang lediglich auf die Entwicklung von DAB- Autoradios kapriziert. Der ganze Ehrgeiz der DAB-Entwickler ist es nämlich, den bewegten Digitalempfang zu verwirklichen. Das ist das einzige Feld, wo die DAB- Technik gegenüber dem DVB- Standard noch Entwicklungsvorteile hat. So soll es mit DAB tendenziell möglich sein, von Flensburg bis Garmisch die Republik zu durchqueren und auf der ganzen Strecke denselben Sender zu hören, ohne einmal am Knopf zu drehen. „Gleichwellennetze“ nennen das die Techniker.

Zudem macht die Digitaltechnik auch beim Radio eine Vielzahl der Programme und Datendienste möglich. Da in einem DAB-Programmblock nur noch eine Ansammlung von Datenpaketen ausgestrahlt wird, ist es ziemlich egal, was übertragen wird: nicht nur Tonsignale, sondern beispielsweise auch Computerdaten oder Bilddateien.

Da sollen DAB-Autoradios auch über ein kleines Farbdisplay verfügen, auf das allerhand mehr oder weniger Nützliches übertragen werden soll: Verkehrsinformationen, das Cover der gerade gespielten CD, Werbeeinblendungen oder auch Internetseiten. Die Industrie verspricht sich von derlei Flimmerzinnober einen Durchbruch für DAB.

Doch inzwischen warnt selbst die Autoindustrie vor zuviel Multimedia im Auto – während die Industrie schon vom mobilen Fernsehempfang im Auto schwärmt.

Langfristig soll DAB das herkömmliche UKW-Radio ablösen. Doch die wirklich überzeugenden Argumente für den baldigen Umstieg auf DAB fehlen der Geräteindustrie bislang. Sie setzt einstweilen darauf, der Ersatzbedarf werde es schon richten. Jürgen Bischoff