Bei Radovan Karadžić auf der Todesliste

Ehemalige Anhänger von Karadžić erhalten in der ostbosnischen Stadt Bijeljina Morddrohungen. Doch die Oppositionellen lassen sich nicht einschüchtern. Bei den Kommunalwahlen wollen sie die Mehrheit der Pale-Fraktion brechen  ■ Aus Bijeljina Erich Rathfelder

Vor den Barrikaden stehen Polizisten mit grimmigen Gesichtern. Sie haben Lastwagen gestoppt und in Doppelreihen vor die Einfahrt des Innenministeriums der Serbischen Republik in Bosnien-Herzegowina postiert. Jetzt schützen die vollbeladenen Trucks hier in der ostbosnischen Stadt Bijeljina das Gebäude, wo Dragan Kijac, der Innenminister, residiert und in dem die Anhänger von Radovan Karadžić ihren Geheimdienstapparat, die Zentrale der Polizei und der Militärpolizei konzentriert haben. Internationale SFOR-Truppen seien im Anmarsch, erklären die Polizisten. Und sie demonstrieren Kampfbereitschaft. Auch an die Adresse ihrer Gegner in der 30.000 Einwohner zählenden Stadt.

Und das sind nicht wenige. Wie zum Beispiel Pero Simić, vor kurzem noch Direktor des regionalen Fernsehens. Der bärtige 43jährige sieht in der Aktion der Polizei eine Angstkampagne, mit der die Wähler, die am nächsten Wochenende für die Kommunalwahlen im gesamten Bosnien- Herzegowina unter Aufsicht der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) zu den Wahlurnen gerufen sind, „an das alte System gebunden werden sollen“. Die Opposition werde mit Morddrohungen eingeschüchtert. „Vor allem jene, die auf der Todesliste stehen.“ Die Drohungen kämen als anonyme Anrufe. Verstärkte Polizeipräsenz vor den Häusern soll die Bewohner einschüchtern.

Es liegt eine gespannte Ruhe über der Stadt. Die meisten Leute in Bijeljina hätten die Schnauze voll von diesen Leuten aus Pale, „die von alten Königen schwatzen, während wir mit den Computern ans Internet angeschlossen werden wollen“, sagt Zoran, ein Techniker, der jetzt einer oppositionellen Gruppe angehört. Die serbische Bevölkerung wolle einfach normal leben, teilhaben an der modernen Welt, reisen können. „Wir haben nicht mal einen Paß, wir haben noch die Papiere aus dem alten Jugoslawien. Und jetzt haben die auch noch die Verhandlungen in Sarajevo über eine Regelung platzen lassen.“ 80 Prozent der Leute seien inzwischen für die Politik von Biljana Plavšić, behauptet er.

Er deutet kurz auf einen brandneuen Chevrolet-Geländewagen, der langsam die Straße entgegenkommt. In ihm sitzen vier junge durchtrainierte Männer mit Sonnenbrillen. Es handelt sich um Geheimpolizisten, die ganz offen ihre Präsenz demonstrieren.

Und manche Gegner des Regimes müssen tatsächlich um ihr Leben fürchten. So wie Svetozar Mihajlović. Erst am 2. September hat der Vorsitzende des Exekutivkomitees der Stadt die Seite gewechselt und ist zu den Anhängern von Präsidentin Biljana Plavšić übergelaufen. Der einst mächtige Funktionär der Karadžić-Partei SDS muß sich jetzt wegen der Todesdrohungen verstecken und jede Nacht den Schlafplatz wechseln.

Ein Treffen wird arrangiert. Der schlanke grauhaarige Mann wirkt entschlossen. Er habe nicht mehr mitarbeiten können in einem System, das auf totalitären Mechanismen und auf Korruption beruht, erklärt er. Bijeljina sei eine von Karadžić „okkupierte Stadt“, vor zehn Tagen wurden alle lokalen Polizisten ausgetauscht und durch Kräfte aus Pale ersetzt.

„Wir wollen nur demokratische Mittel zum Sturz des Regimes anwenden“, sagt Mihajlović, der jetzt Vorsitzender des „Serbischen Volksbundes“, der von Biljana Plavšić gegründeten Partei, geworden ist. Und er meint damit, daß die absolute Mehrheit der Karadžić-Anhänger in den kommunalen Parlamenten gebrochen werden muß. „Wir wollen eine Partei der Mitte sein, sowohl Anhänger von SDS wie auch der Linken zu uns herüberziehen.“

Das will auch Ljubusa Savić, genannt „Mauser“. Der ehemalige Kommandeur der serbischen Spezialeinheit „Die Panther“ gehört zu der Creme der serbischen „ethnischen Säuberer“ Ostbosniens, sorgte für die Vertreibung der muslimischen Bevölkerung aus Bijeljina und war bei der Eroberung Brčkos dabei. Er gilt nicht zu Unrecht als harter Kämpfer und weiß, konspirative Regeln einzuhalten. Der durchtrainierte Mann nimmt die Todesdrohungen seiner ehemaligen Freunde nicht auf die leichte Schulter.

Als Frontsoldat ist er erbost über die Korruption des Systems. „Während wir bei den Kämpfen im Majevica-Gebirge 1993 wegen Benzinmangels nicht einmal die Verwundeten in die Krankenhäuser bringen konnten, gab es in den Städten Benzin auf dem Schwarzmarkt zu kaufen“, erregt er sich. Die Serbische Demokratische Partei sei zu einem totalitären Instrument der Kriegsgewinnler herabgewürdigt worden. Und deshalb unterstützte er als Nationalist Biljana Plavšić.

Anders als Mihajlović hat er sich schon vor längerer Zeit ins Lager der Opposition begeben. Mit der Gründung der Demokratischen Partei der Republika Srpska (DP-RS) im April 1996 begann er, Honoratioren der Stadt um sich zu versammeln, Ärzte, Rechtsanwälte, Professoren. Gelänge es, die absolute Mehrheit der Pale-Partei im Stadtparlament von Bijeljina, der wichtigsten Stadt im Ostteil der Region Brčko, zu brechen, wäre eine Vorentscheidung gefallen. „Hier in Bijeljina entscheidet sich, wer in der Republika Srpska die Oberhand behält.“

Indem Svetozar Mihajlović und Ljubusa Savić das Regime kritisieren, sind Karadžić und Krajišnik in der Region Bijeljina ernsthafte Gegner erwachsen. Beide waren loyale serbische Nationalisten, die ihren Anteil am Krieg und an den Verbrechen der „ethnischen Säuberungen“ hatten. Und sie lassen auch jetzt noch keinen Zweifel daran, daß sie eine Rückkehr der Vertriebenen nicht wünschen. Sie wollen weiterhin die Teilung Bosniens und sehen in dem Dayton- Vertrag eine Möglichkeit, dieses Ziel zu verwirklichen. Aber sie wollen nicht mehr die Usurpation der Macht durch Kriegsgewinnler hinnehmen.

Auch der Journalist Jevica I. Perković schießt gegen Pale. Ihm ist es gelungen, eine eigene Zeitschrift auf den Markt zu bringen. „Zehntausend Exemplare unserer Zeitschrift Extra können wir drucken. Und die werden uns aus der Hand gerissen.“ Das Medienmonopol der Herrschenden zu brechen ist sein Ziel. „Erst Information, dann Interpretation, keine Propaganda.“ Pale habe eine völlig verfehlte Pressepolitik betrieben und damit die Serben international isoliert. „Die Welt soll wissen, daß wir Serben auch eine Demokratie wollen.“ Daß er wegen seiner Haltung verfolgt wird, schreckt ihn nicht mehr. Er arbeitet trotz der Drohungen offen weiter an der nächsten Ausgabe seines Blattes, um das Medienmonopol aus Pale zu brechen.

Branko Todorović hält sich lieber etwas zurück. Der ehemalige Lehrer, der 1992 aus der Schule flog, weil er sich gegen die Diskriminierung von muslimischen Schülern gewandt hatte, ist Vorsitzender des Helsinki-Komitees für Menschenrechte. Und damit einer, der den Regierenden schon lange ein Dorn im Auge ist. Die Zeit bis zu den Wahlen hält Todorović für die Bedrohten für eine kritische Phase. „Die Machthaber sind unberechenbar, es gibt keine Regeln für die staatliche Gewalt.“

Noch hofft Todorović auf eine stärkere Aktivität der SFOR-Truppen und der internationalen Institutionen überhaupt. „Einerseits werden zwar starke Worte gegen die Kriegsverbrecher gebraucht, in der Praxis jedoch stützt die internationale Gemeinschaft immer noch das System in Pale.“ Ein Vertreter der OSZE hätte ihm erklärt, wenn er schon Menschenrechtsarbeit mache, müsse er auch mit dem damit verbundenen Risiko leben. Was solle er angesichts eines solchen Zynismus noch antworten.

In seiner Kritik kann sich Todorović einig wissen mit den anderen in den Untergrund abgedrängten Opponenten. Auch sie fordern von der internationalen Gemeinschaft größere Aktivität. Der ehemalige SDS-Funktionär Mihajlović fordert sogar, die internationalen Institutionen sollten jeglichen Kontakt zu Pale abbrechen und lediglich mit den Vertretern der Präsidentin Biljana Plavšić verhandeln. „Die Machthaber in Pale dürfen nicht über die internationale Gemeinschaft legitimitiert werden.“

Die Barrikaden vor dem Innenministerium sind wieder abgebaut, die Lastwagen wieder auf dem Weg an ihren Bestimmungsort. Doch die „unauffälligen“ jungen Männer sind überall in der Stadt zu sehen. Hoffen die Machthaber in Pale, die Wahlen in Bijeljina unter Einsatz aller Propagandamittel zu gewinnen? Und wenn nicht? Kommt es dann zur offenen Konfrontation? „Das weiß niemand“, sagt Zoran und macht sich auf den Weg zu einem anderen Schlafplatz.