Linksbündnis gewinnt Testlauf

Zwei Wochen vor den Wahlen gingen die Wähler in der polnischen Kleinstadt Wieruszow schon mal probeweise an die Urnen. Und die Politprominenz mit Geschenken ins Volk  ■ Aus Warschau Gabriele Lesser

Fast die gesamte Parteiprominenz Polens pilgerte am Sonntag nach Wieruszow, einem kleinen Städtchen zwischen Breslau und Warschau. Alle Politiker hatten Geschenke dabei, lächelten um die Wette, schüttelten Tausende Hände, schrieben Verse in Poesiealben und ließen sich mit potentiellen Wählern fotografieren. Wieruszow ist die politisch repräsentativste Stadt Polens. In den letzten Jahren haben die gut 10.000 wahlberechtigten Kleinstädter fast genauso gewählt wie ganz Polen. Die Idee, in dieser Stadt „Vorwahlen“ zu organisieren, liegt nahe.

Zwar betonen Soziologen, daß die „Gaudi“ nicht weiter ernst zu nehmen sei und „erst die tatsächlichen Wahlen am 21. September zeigen werden, für welche Parteien sich die Polen entscheiden“. Doch die Politiker wissen genau, daß die Vorwahlen ein Signal setzen. Wieruszow ist für die polnischen Wähler wichtiger als jede noch so ernsthafte Wahlumfrage oder Prognose. Die Parteien setzen also alles daran, in dieser Kleinstadt die „Wahlen“ zu gewinnen.

Das „Wahlergebnis“, das am Sonntag abend bekannt wurde, bestätigte die bisherigen Umfragen. Stärkste Kraft mit über 35 Prozent wurde das Demokratische Linksbündnis (SLD), gefolgt von der Wahlaktion Solidarność (AWS) mit 29 Prozent. Allerdings wählten die Einwohner Wieruszos statt der vorausgesagten fünf nur drei weitere Parteien ins Parlament: die liberale Freiheitsunion (10 Prozent), die rechtsradikale Bewegung für den Aufbau Polens, ROP (8 Prozent), und die Bauernpartei PSL (5 Prozent). Die Wahlbeteiligung lag mit 52 Prozent im erwarteten Bereich.

Bereits am Samstag war Ministerpräsident Wlodzimierz Cimoszewicz zum „Wahlkampf“ angereist, im Gepäck hatte er ein Geschenk, das in Wieruszow wie eine Bombe einschlug: die Wähler tanzten, schrien „Vivat!“ und „Bravo!“, einige weinten vor Freude. Die postkommunistische Regierung hatte am Freitag das größte Unternehmen im Ort zu einem sensationellen Preis verkauft. Die Anteilsscheine der Arbeiter an der Firma stiegen durch den günstigen Verkauf auf das Doppelte. Außerdem, setzte Cimoszewicz noch eins drauf: Die Regierung beabsichtige, Wieruszow nach der Verwaltungsreform zur Kreishauptstadt zu machen. Das aber bedeutet vor allem eins: mehr Geld aus Warschau.

Und auch Marek Wagner, Minister in der Präsidialkanzlei, zog ein vielversprechendes Papier aus seiner Aktentasche: die Zusage der (staatlichen!) Versicherung, die letzte Phase des Baus der Feuerwehrremise in Wieruszow zu finanzieren. Beide Politiker starten für die SLD.

Auch der Abgeordnete der mitregierenden Bauernpartei, Andrzej Grzyb, wollte nicht zurückstehen, setzte sich allerdings vom großen Koalitionspartner ab: „Wir bedienen uns nicht am Geld aus den Staatsfirmen, wir haben aus der Parteikasse Computer für eure Schule gekauft.“ Der Applaus nahm kein Ende.

Die Oppositionspolitiker schlugen die Hände vors Gesicht. Ein Kandidat der „Bewegung für den Wiederaufbau Polens“ sprang wütend auf und schrie ins Publikum: „So laßt ihr euch also kaufen!“ Höhnend kam zurück: „Wird Zeit, daß ihr das auch lernt.“

Die „Anarchisten“ wurden Opfer ihrer eigenen Idee: Die Wähler Wieruszows sollten junge Frauen, die sich als berühmte Politiker verkleidet hatten, mit Eiern bewerfen. Fliehen mußten am Ende die Anarchisten selbst. Ein wahrer Hagel zerplatzte auf ihren Köpfen. Als während der großen Wahldebatte zum Thema „Was ist das größte Problem Polens?“ plötzlich das Licht ausging, wurde der Schlachtruf aus alten Zeiten laut: „Der Elektriker. Ruft den Elektriker! Wo ist Walesa?“ Der war zwar nicht in Wieruszow, kündigte aber an, daß er im Falle eines Wahlsieges der AWS als Ministerpräsident zur Verfügung stehe.