Der neue Charme der Spandauer Vorstadt

Im Vergleich zur Rosenthaler Vorstadt wird die Spandauer Vorstadt immer reicher. Ein Drittel der Haushalte verdient mehr als 4.000 Mark, die Hälfte aller Bewohner kam erst nach 1990  ■ Von Uwe Rada

Wenn am 20. September Klaus Bädickers Fotoausstellung „Hausansichten vor und nach der Wende“ eröffnet wird, wird sich nicht jeder in der Spandauer Vorstadt an bröckelnden Putz und Einschußlöcher in den Fassaden erinnern. Auch nicht an die Zeit, in der die Hackeschen Höfe allenfalls als Durchgang zwischen Rosenthaler und Sophienstraße genutzt wurden. Selbst für manchen Bewohner ist die Spandauer Vorstadt Neuland. Mehr als die Hälfte ist erst seit der Wende ins Gebiet gezogen.

Auch im Nachbarviertel Rosenthaler Vorstadt siedeln immer mehr urbane Pioniere. Fast zehn Prozent der Bewohner kamen erst 1997 ins Gebiet zwischen Rosenthaler Platz und Zionskirche. Dies geht aus ersten Auswertungen zweier Sozialstudien hervor, die die Mieterberatungsgesellschaft BfsS im Auftrag des Bezirks erstellt hat und in der jüngsten Ausgabe des Scheinschlags veröffentlicht wurden.

Im Vergleich zu Untersuchungen aus dem Jahre 1992 ist laut BfsS-Mitarbeiter Wolfgang Schumann dabei nicht nur ein Wandel der Sozialstruktur innerhalb der Spandauer und der Rosenthaler Vorstadt festzustellen, sondern auch eine „zunehmende Polarisierung“ der beiden Gebiete zueinander. Während die Zuzugswelle in die Spandauer Vorstadt vor allem mit der „spezifischen Attraktivität des Gebiets“ zusammenhänge, spiele in der Rosenthaler Vorstadt der preiswerte Wohnraum eine größere Rolle. Entsprechend ist auch die Einkommensschere auseinandergegangen. Bereits ein Drittel der Spandauer Vorstädter kann auf ein Haushaltsnettoeinkommen von 4.000 Mark und mehr zurückgreifen. Jeder fünfte verdient sogar mehr als 5.000 Mark. In der Rosenthaler Vorstadt ist es dagegen nur jeder zehnte. Dort sind dagegen die Einkommen unter 1.000 Mark dreimal so häufig wie in der Spandauer Vorstadt. Das Durchschnittseinkommen der Haushalte in Mitte beträgt 2.450 Mark.

Entsprechend groß ist auch die Angst vor Vertreibung. Jeder vierte hat inzwischen Angst, seine Wohnung wegen steigender Mieten verlassen zu müssen, und dies, obwohl sowohl die Spandauer als auch Rosenthaler Vorstadt zu den Sanierungsgebieten gehören.

Um auf den Wandel in der Spandauer Vorstadt aufmerksam zu machen, organisieren zahlreiche Initiativen und das Kulturamt Mitte am 20. und 21. September ein Straßenfest in der Auguststraße. Wie notwendig die Auseiandersetzung mit der Aufwertung des Viertels ist, zeigt eine Porträtserie von Ulrike Steglich im Scheinschlag unter der Rubrik „Wem gehört die Vorstadt?“. Harm Müller-Spreer zum Beispiel, Hamburger Kaufmann und „Großinvestor“ in der Spandauer Vorstadt, ist sich sicher, daß die bunte Mischung verschwindet und Leute verdrängt werden. Auf die Frage, ob damit nicht auch der Charme verschwindet, antwortet er: „Es wird einen neuen, anderen Charme geben.“

Vor noch nicht allzu langer Zeit hat der Stadthistoriker Dieter Hoffmann-Axthelm die Hackeschen Höfe als Prototyp einer behutsamen Erneuerung gefeiert. „Die tertiarisierten, öffentlich zugänglich gewordenen Höfe“, schrieb Hoffmann-Axthelm, „bilden nunmehr die Membran, die den Druck der City auf die Spandauer Vorstadt filtert.“ So sehr kann man sich irren.