Ein Autoüberschlag fehlt noch

„Das kannst du nicht mehr“ gibt es für Peter Werner nicht. Der frühere Olympionike sucht seine Grenzen – und die seines Rollstuhls. Er findet sie selten  ■ Von Liesbeth Weeda

Berlin (taz) – Als er von Spanien in die Niederlande rollte, nannte man ihn in Deutschland einen „Edelkrüppel“. Höhnisch? „Typisch deutsch“, sagt Peter Werner. Er hat schon ganz andere Sachen gemacht, zog Flugzeuge und Autos hinter dem Rollstuhl her und rollte als Stuntman durch ein Flammenmeer. Bei den Paralympics gewann er Gold in verschiedenen Disziplinen.

Der gebürtige Berliner, der seit langem in den Niederlanden lebt, unternimmt einmal im Jahr eine „größere Leistung“. Um seine Batterie aufzuladen. Publicity scheut er dabei nicht, und ebensowenig schreckt er vor den „großen Jungs“ zurück. Mit US-Präsident Ronald Reagan hat er im Weißen Haus gefrühstückt. Vom niederländischen Königshaus wurde er gebeten, ein großes Sportereignis zu eröffnen.

Werner war Sportlehrer. Als Schwimmer nahm er 1960 und 1964 an den Olympischen Spielen teil. Darüber möchte er nicht reden. „Na, und?“ sagt er bloß. Was war, sei nicht wichtig. Eine verpfuschte Rückenmarkpunktion brachte ihn 1978 in den Rollstuhl. „Plötzlich sitzt du im Rollstuhl, und du bist nichts mehr, nichts mehr. Ich redete mir selbst ein, daß ich nichts mehr konnte, und das wurde mir von der Außenwelt bestätigt“, sagt Werner.

Dann schaltete er um. Er wollte sich beweisen, daß „auch ein Mensch im Rollstuhl noch etwas kann“. Bei Formulierungen wie „auch“ und „noch“ wird er mächtig sauer. „Man sagt so oft: dort sind die Gesunden und dort die Rollstuhlfahrer. Aber wenn jemand im Rollstuhl sitzt, bedeutet das nicht automatisch, daß er krank ist“, sagt er. Die Behinderten selbst, sagt Werner, müßten bis an ihre Grenzen gehen, um ihre Beschränkungen herauszufinden. „Man muß kein Flugzeug ziehen, aber auf keinen Fall sollte man sich von einem Beamten sagen lassen: ,Das kannst du nicht mehr.‘“

Werner sagt, er habe „24 Stunden am Tag Schmerzen“. Aber „wenn ich dem nachgeben würde, könnte ich mich gleich umbringen“.

Werner ist ein Einzelgänger. Seine Aktionen dienen immer einer „guten Sache“, die meisten zieht er allein durch. Mit der organisierten Behindertenszene will er nichts zu tun haben. „Jemand, der im normalen Leben nie eine prominente Position einnehmen würde“, sagt er, „kann bei den Behinderten Vorsitzender oder Präsident werden.“ Der Mann eckt an, bisweilen. Werner nennt es: Tabus nach allen Seiten durchbrechen. Er will mit seinen Kraftakten auf die Probleme aufmerksam machen, die Behinderte haben. Er blockiert aber keine Straßenkreuzungen, „das ruft nur Aggressionen hervor“.

Lieber organisiert er eine Rollstuhltour durch Luxemburg, weil dort nichts behindertentauglich ist. Die Tour rollte unter dem Motto „Recht auf Beweglichkeit“. Danach wurden Anpassungen an Straßen und Gebäuden vorgenommen. Das Land war tatsächlich wachgerüttelt worden.

Ähnliches verspricht sich Werner von einer Aktion, die er neulich auf einem Berliner Straßenfest machte. Da zog er einen 5,5 Tonnen schweren Wagen voller Pflanzen 20 Meter vorwärts. „Die Pflanzen sind für einen Kindergarten, aber ich benutze die Gelegenheit in so einem Moment, den Bürgermeister darauf aufmerksam zu machen, daß zum Beispiel die Bürgersteige abgesenkt werden müssen.“

Irgendwie strahlt der Mann Lebensfreude und Kraft aus. Er trägt sportliche Kleidung, inklusive Schienbeinschoner. Gewandt geht er auf Knien durch seine Berliner Wohnung, wo er jeden Tag drei Stufen überwinden muß, um ins Haus zu kommen. Ein Hometrainer steht im Wohnzimmer.

Werner sagt: „Früher war ich ein Idiot, da mußte ich zeigen, was ich kann.“ Er zog drei Sportflugzeuge in Berlin-Schönefeld, eine Aktion, durch die er ins „Guinness Book of Records 1993“ kam. Er machte allein eine Rollstuhltour durch Amerika, schlief bei Indianern, in der Wildnis und in den besten Hotels. Dabei trug er vom Fernsehvolk 40 Millionen Dollar zusammen, die an ein Untersuchungsinstitut für Rückenbehandlung gespendet wurden.

Sein Alter merkt man Werner nicht an. Er ist 57. „Wenn man älter wird, wird man etwas ruhiger“, sagt er. Er möchte gerne mal unter einem Hubschrauber hängen. Einen Autoüberschlag hat er auch noch nicht gemacht. Das Feuer in ihm ist noch nicht gelöscht.