Das Privileg, klein zu sein

■ In Skandinavien steht die kommerzielle Revolution des Medienmarkts erst noch bevor. Ein öffentlich-rechtliches Idyll wird aufgeweicht - langsam, aber sicher

Lego darf für seine Bauklötze und Disney für das neueste Donald-Duck-Heft bald auch nachmittags werben, wenn das Kinderfernsehen läuft. Das hat der EU- Gerichtshof im Sommer bestimmt und damit ein schwedisches Gesetz für ungültig erklärt, das derlei gezielte Kinderreklame verbietet.

Wenn das in London beheimatete schwedischsprachige TV 3 also demnächst die kleinen ZuschauerInnen mit solcher Zielgruppenwerbung zuschütten kann, ist ein weiteres Puzzlestück aus dem Prinzipienkatalog der auf Public-Service-Funktionen gerichteten schwedischen Mediengesetzgebung herausgebrochen. Resultat eines Umwandlungsprozesses, der das früher ausschließlich öffentlich-rechtliche Rundfunk- und Fernsehmonopol Skandinaviens durch neue Strukturen ersetzt. Deutlich langsamer allerdings als im Resteuropa.

Seit Mitte der 20er Jahre ist das Monopolunternehmen, das Radio- und später Fernsehübertragungen durchführte, gesetzlich dem „Wohle der Allgemeinheit“ verpflichtet. Was in Schweden noch heute bedeutet, daß alle öffentlich- rechtlichen Funk- und Fernsehsender frei von Werbung sind und sich ausschließlich durch Gebühren finanzieren. Umgerechnet rund 28 Mark monatlich zahlt jeder, etwa soviel wie das Abo der Lokalzeitung (Rundfunkempfang kostenlos) kostet.

Sind Redaktionen und ProgrammacherInnen formal auch unabhängig, so nehmen die politischen Parteien natürlich einigen Einfluß auf personelle Entscheidungen. Weshalb viele Jahrzehnte sozialdemokratischer Vormachtstellung im Programm deutliche Spuren hinterlassen – woran sich aber kaum jemand stört.

Praktisch alle Änderungen im öffentlich-rechtlichen System kamen in der Vergangenheit erst durch den Zwang zur überfälligen Anpassung an technische Realitäten zustande. Erst als es mit dem Siegeszug des Satellitenfernsehens unvermeidlich war, daß kommerzielle TV-Sendungen in schwedischen Haushalten empfangen werden konnten, wurde nach erbitterten Debatten 1992 ein erster – und bis heute einziger – Privatsender via Antenne zugelassen. DV 4, das einem rein schwedischen Konsortium gehört, wurde zu einer Reihe von „Pflicht“-Programmen verdonnert. 1993 wurden dann kommerzielle Radiosender zugelassen.

Wegen dieser noch kaum gebrochenen Macht des öffentlich-rechtlichen Prinzips auf dem Funk- und Fernsehsektor – das so ähnlich auch in Norwegen und, allerdings bereits abgeschwächter, in Dänemark herrscht –, suchten sich private Programmanbieter bald einen Standort im Ausland, um von dort von der nationalen Gesetzgebung unbehindert über Satellit in die skandinavischen Werbemärkte hineinzusenden.

Die gesetzlichen Beschränkungen ließen bei den großen Verlagshäusern und Zeitungskonzernen überall in Skandinavien auch lange Zeit kein gesteigertes Interesse an elektronischen Medien aufkommen.

Das hat sich erst in der letzten Zeit geändert, mit Engagements des schwedischen Bonnier-Konzerns auf dem finnischen und des norwegischen Schibsted-Konzerns auf dem dänsichen TV-Markt. Dieses Engagement in den skandinavischen Nachbarländern war wiederum durch Schranken der Gesetzgebung bestimmt: Konzentrationsregelungen, die eine zu starke Machtstellung eines Konzerns in verschiedenen Mediensektoren (Print, Radio, TV) des jeweiligen Landes verhindern sollen.

Obwohl auch skandinavische Haushalte mit entsprechender Antennenbestückung schon potentiell über 100 – meist fremdsprachige – Programme empfangen können, schaltet sich eine übergroße Mehrheit nach wie vor auf die ein bis zwei Public-Service-Programme ein. Die Treue zu den heimischen Sendern ist ungebrochen, auch wenn diese zur Prime time ungerührt Dokumentationen und Naturfilme zeigen.

Die konservativen Sehgewohnheiten haben auch dazu geführt, daß die nationalen Werbekuchen, aus denen sich die privaten Anbieter bedienen können, derzeit allenfalls dafür ausreichen, jeweils ein einziges konkurrenzkräftiges kommerzielles Alternativprogramm zu finanzieren. Die meisten skandinavischsprachigen Kanäle und nahezu alle privaten Radiosender schreiben daher seit Jahren rote Zahlen.

Die Vormachtstellung der öffentlich-rechtlichen Sender bringt wiederum mit sich, daß die Firmen ihre Werbeetats am Fernsehen vorbeiplanen: Statt über 30 Prozent, wie in Resteuropa, gehen beispielsweise in Schweden gerade 18 Prozent in die Funk- und Fernsehwerbung.

Auch wenn diese Tendenz sich langsam zugunsten der TV-Werbung verschieben sollte, wird ein Handikap aller kommerziellen Programmanbieter bleiben: es wird immer weniger rentabel sein, für Länder zu produzieren, die fünf bis acht Millionen EinwohnerInnen haben und nicht 50 bis 80. Welche Unterschiede es zwischen dem mitteleuropäischen und dem skandinavischen Markt gibt, mußte gerade auch Springers und Kirchs ISPR erfahren, das sich für teures Geld die Übertragungsrechte der obersten schwedischen Fußball- und Eishockeyliegen für die nächsten Jahre einkaufte und diese nun mit Verlust an die öffentlich-rechtlichen Programme weiterverkaufen muß, weil der Markt angesichts mangelnder Konkurrenz Phantasiesummen für Sportübertragungen wie in Deutschland nicht abwirft und erste Pay-TV-Versuche als völliges Fiasko endeten.

Das wird sich wiederum durch die Technik ändern: wenn digitale Übertragung punktgenaue Vermarktung auch für kleine Gruppen möglich macht. Schon gibt es in Schweden Probeläufe mit terrestrischem Digital-TV, wo sich aber wiederum das öffentlich-rechtliche schwedische Fernsehen zu dominieren anschickt.

Da es im wesentlichen nur die schon übermächtigen Zeitungskonzerne sind, die Kapital und Interesse haben, sich in der Fernsehbranche zu engagieren, sieht es in Schweden danach aus, daß die nächste Lizenzrunde auch bei der Vergabe zweier weiterer terrestrisch verbreiteter Programme nicht etwa an einen kommerziellen Anbieter, sondern an neue Spartenprogramme gehen wird. Öffentlich-rechtlich organisierte. Und um dem kommenden Digitalangriff vom „Kontinent“ begegnen zu können, haben die Öffentlich-Rechtlichen den nordischen Ländern nun mit Planungen für gesamtnordische Zielgruppenprogramme begonnen. Reinhard Wolff, Stockholm