Geburt eines Four-letter-words

■ Kunst am Popbau: Greil Marcus und DJ Spooky suchten in Zürich nach dem Ursprung und der Bedeutung des Wörtchens „cool“ – mit unterschiedlichem Erfolg

Ein kleines Wort muß wieder mal herhalten: „cool“. Das allgegenwärtige Adjektiv steckt im Titel einer vielbeachteten Ausstellung über die US-amerikanische Malerei nach dem Zweiten Weltkrieg. „The Birth of the Cool“ war im Frühjahr in den Hamburger Deichtorhallen zu sehen (die taz berichtete). Das Ende der von der Schweizerin Bice Curiger kuratierten Schau im Kunsthaus Zürich war Anlaß, mit zwei Vorträgen dem Wort „cool“ auf die Schliche zu kommen. Die Auftritte von Greil Marcus und DJ Spooky waren aber auch Teil einer Selbstaufwertungsstrategie von Kunst: Wo alles als Pop erscheint, möchte auch das Museum nicht außen vor sein.

Greil Marcus besitzt inzwischen eine solche Reputation, daß der Vortragssaal des Kunsthauses fast voll besetzt war. Als der kalifornische Musikkritiker im etwas zu groß geratenen Anzug ans Mikrofon schritt, empfing ihn warmer Applaus des nicht mehr ganz jungen Publikums.

Er wolle, sagte Marcus zu Beginn, mit dem Wort „cool“ spielen, um die in ihm liegenden Mysterien zu ergründen. Marcus ist bekannt dafür, daß er in der Ansammlung von Fakten, Anekdoten, Songzeilen den Mythos der Pop- und Rockmusik selbst sprechen lassen will. Wer darin eine Verharmlosung oder gar die Flucht in Nostalgie sieht, kann immerhin sicher sein, daß Marcus sein Thema beherrscht. Er hat die Platten intus, die Texte, die Images, die Referenzen und Namen. Bei ihm gibt es keine peinlich-anbiedernde Gestik gegenüber dem popkulturellen Gegenstand.

Auch sein Spiel mit dem Wort „cool“ war eine wohltuend genaue Aneinanderreihung von Geschichten, um die Geschichte dieses Wortes darzulegen – zurück bis zu dessen Geburt. Das heißt auch, daß „cool“ erst nachträglich zur Bezeichnung eines bestimmten Stils, einer bestimmten Zeitstimmung geworden ist. Die Singles, die Gerry Mulligan, Gil Evans und Miles Davis Ende der vierziger Jahre aufnahmen, wurden bei ihrer ersten Veröffentlichung noch nicht als „cool“ empfunden. Erst als sie 1950 auf einer Compilation mit dem Titel „The Birth of the Cool“ wiederveröffentlicht wurden, erschienen sie als Ursprung von etwas Neuem.

Marcus verbindet die Popularität des Cool Jazz mit der Stimmung in der urbanen US-amerikanischen Gesellschaft nach dem Zweiten Weltkrieg: „free people in a new world“. „Cool“ sei deshalb die in der Musik von Miles Davis oder auch Chet Baker angelegte Gratwanderung zwischen dem Hervortreten des einzelnen und seinem Verschwinden in der Anonymität. In der Art und Weise des Liedvortrages von Chet Baker sieht Marcus „cool“ ausgezeichnet verkörpert: es singt nicht eine expressive Stimme, sondern der Song tritt durch die einzelne, Bakers Stimme hervor.

Marcus' Vortrag war im besten Sinne ordentlich, der agile DJ Spooky hält es bekanntlich eher mit der Auflösung der Konvention. Der Vortrag des 27jährigen, der als Paul D. Miller auch Essayist und bildender Künstler ist und sich gelegentlich nach einer Burroughs-Figur That Subliminal Kid nennt, kam dementsprechend als Ansammlung von Fragmenten daher, in denen Miller einige seiner inzwischen zum Standard der DJ- Culture gehörenden Lesefrüchte präsentierte.

Daß wir in einem postindustriellen Zeitalter leben und High-Tech unser Verhältnis zu Körper und Identität grundlegend verändert; daß die Beziehung zu unserer Umwelt nicht mehr so beschrieben werden kann, wie Hegel dies in seinem berühmten Herr-Knecht-Kapitel tat – das sind keine Neuigkeiten. Und cool ist das auch nicht mehr.

Miller versuchte des öfteren seine offensichtliche Ratlosigkeit zu überwinden, indem er das Publikum zu Fragen animierte. Das aber saß ebenso ratlos vor ihm und hoffte wohl, daß er endlich an die installierten Plattenspieler gehen würde, um ein bißchen von seiner Scratch- und Mixkunst zu zeigen. Das machte er aber nicht länger als eine Minute – wohl auch aus dem Unbehagen, in dem hellbeleuchteten Saal DJing als Hochkunst zu präsentieren. Weder er noch die Zuhörerinnen und Zuhörer hatten etwas von diesem Versuch, Pop im Museum als beiderseitigen Gewinn zu lancieren.

Martin Pesch