Gefährliche Leidenschaften

Die Feindschaft zwischen Georgien und Abchasien tobte in den Medien schon lange vor Ausbruch des Bürgerkriegs. Trotz des wackligen Friedens nehmen sie ihren konflikttreibenden Nachrichtenkrieg erneut wieder auf  ■ Von Gennadi Zaworonkow

Die Feindschaft zwischen Georgien und Abchasien ist durchaus nichts Neues. Sobald sich die Gelegenheit ergab, ob 1793 oder im Bürgerkrieg, der auf die Revolution von 1917 folgte, befanden sich die beiden Nachbarn auf gegnerischen Seiten und gingen einander an die Kehle.

Als Stalin in den 20er Jahren Abchasien zwang, ein Teil Georgiens zu werden, brachen erneut Unruhen aus. In den 50ern hatte die georgische Bevölkerung die Abchasier zahlenmäßig überrundet. Es begann eine Art unbewaffneter Krieg um für die Abchasier so lebenswichtige Dinge wie das Überleben ihrer Sprache an Schulen und Universitäten. Nach einem von beiden Seiten erbittert geführten Kampf errangen die Abchasier schließlich einen Erfolg.

Das war der Stand der Dinge, bis die Medien beschlossen, in den Ring zu steigen. Trotz der Entstehung einer abchasischen Presse – hervorzuheben sind die Zeitungen Respublika Abkhazii (Republik Abchasien), Bzyb und Aydgylana (Nation), das Organ der Volksfront – triumphierten in den endlosen Wortgefechten über die Zukunft der beiden Volksgruppen immer wieder die Georgier. Georgische Journalisten nannten ihre Opponenten separatistische Kommunisten und wurden ihrerseits als Faschisten beschimpft. Die Georgier behaupteten, die Abchasier seien Neuankömmlinge, die für den Islam Partei ergriffen – die Abchasier konterten, es gäbe viele Millionen Abchasier in der Türkei, die nur darauf warteten, sich im Land ihrer Vorväter niederzulassen. Die Presse nahm eine immer aktivere Rolle ein, man mobilisierte seine Anhänger zu Demonstration und Gegendemonstration.

Die russischen Medien schwiegen, und die Bevölkerung der ehemaligen Sowjetunion blieb im großen und ganzen ahnungslos über einen Konflikt, der bislang noch unblutig verlaufen war. „Was bedeuten diese Demonstrationen da unten?“ mögen russische Urlauber ängstlich gefragt haben. Und sie bekamen die beruhigende Antwort: „Ach, das ist nur eine kleine Minderheit, die gerne Krach schlägt. Mal wollen sie abchasische Schulen, mal geht es ihnen um Universitäten. Wozu brauchen sie das, wo sie nicht einmal eine eigene Sprache haben?“ Bücher über abchasische Geschichte gab es nicht, und die meisten Russen glaubten gerne den Mythos von den Abchasiern als den Neuankömmlingen, die von den Bergen gekommen seien und die Frechheit besessen hätten, sich an der Küste anzusiedeln. Und überhaupt: Waren das nicht alles Muslime, die nur darauf brannten, Christen auszurotten?

Eine den Russen unbekannte Kultur

1985 ermöglichte die Perestroika den ersten Bruch mit dieser manipulativen Informationspolitik. Als abchasische Wissenschaftler die ersten historischen Werke über ihr Volk veröffentlichten, entdeckten die Russen mit Staunen eine unbekannte und einzigartige Kultur, die alle herben Launen der Vergangenheit überlebt hatte.

Es gibt keine abchasischen Muslime. Die Abchasier sind vielmehr Heiden, ihre Götter bis heute Erde und Sonne und der Wein, in den die Seele des Menschen eingeht. Sie begraben ihre Toten unter lauten Klagegesängen in ihren eigenen Hinterhöfen. Später sprechen sie mit ihnen, als lebten sie noch, gießen Wein als Opfer auf das Grab und legen Brot als Speise für die Toten darauf. Ihre Lieder sind von großer Traurigkeit. Aber sie verheiraten sich gerne mit Andersgläubigen und tolerieren ihre zahlreichen Nachbarn: Russen, Armenier, Esten und Juden. Die einzige Antipathie gilt den Georgiern, von denen sie als Gäste im eigenen Land bezeichnet werden.

In Abchasien gab es niemals Sklaverei und Leibeigenschaft. Die Liebe zur Erde ist das zentrale Motiv ihrer Religion, und wer in Abchasien geblieben ist, weiß, daß ihre in die Türkei geflohenen Landsleute zwar materiellen Reichtum anhäuften, spirituell jedoch keinen Frieden finden. Ihre Seelen sind in dem Land geblieben, in das sie zurückwollen.

Die Zeitung Bzyb füllte Seite um Seite mit diesen historischen Enthüllungen – und die georgische Presse ging zum Gegenangriff über. Die georgische Zeitung Abkhazia versuchte erfolglos, in diesem Sturm einen moderaten Mittelkurs zu steuern, und warnte vor den gefährlichen Leidenschaften, die die Presse hiermit weckte. Als abchasische Milizen jedoch die georgische Stadt Suchumi besetzten, wurde der Chefredakteur der Zeitung, Juri Gawba, wegen „Aufhetzung zum ethnischen Konflikt“ verhaftet. Er verbrachte fast ein Jahr im Gefängnis, und nur durch die Intervention internationaler Menschenrechtsorganisationen wurde er gerettet. 40 Journalisten von beiden Seiten wurden umgebracht oder blieben vermißt.

Und die Flut der Desinformation ergoß sich weiter über die Seiten der georgischen Zeitungen, nun angereichert mit Forderungen, die rebellischen „Muslime“ zu unterdrücken. Jedermann erwartete Krieg, beruhigte sich aber damit, daß das dann doch undenkbar sei. Dies aber ist das Land der Blutrache: Im Kaukasus vererbt sich der Groll.

Systematische Desinformation

Und schließlich kam der Krieg. Die Wachen des selbsternannten georgischen Kommandanten Tengis Kitowani führten einen plötzlichen Panzerangriff auf Abchasien, um „Gesetz und Ordnung“ wiederherzustellen. Es begann wie eine Militärparade, die ohne Gegenwehr tief ins Land gelassen wurde; Schüsse in die Luft hatten genügt. Dann aber kam der Widerstand: Beide Seiten kämpften mit schwerer Artillerie und den noch aus sowjetischer Zeit stammenden vielgeschossigen Raketenwerfern. Die besiegten georgischen Freiwilligen flohen und mit ihnen viele Tausende georgischsprachiger Zivilisten.

Die ganze Welt versuchte, die aufflackernden Kriegsflammen in Jugoslawien zu ersticken und den offenbar hartnäckigen Konflikt zu lösen. Den georgisch-abchasischen Krieg aber nahm außer Rußland niemand wahr.

Inzwischen setzen die Zeitungen trotz des wackligen Friedens ihren Nachrichtenkrieg unbeeindruckt fort und beschuldigen den jeweiligen Gegner, Kriegsverbrechen begangen zu haben. Vor kurzem veröffentlichte die Zeitung Georgia eine Landkarte, auf der Konzentrationslager und vermutete Trainingslager für tschetschenische Untergrundkämpfer in Abchasien eingezeichnet waren. Ich habe diese Orte zusammen mit Friedenstruppen besucht und nichts gefunden – und die Zeitung hat meinen Befund nicht dementiert.

Auch die Abchasier erheben ab und zu ein großes Geschrei. Beide Seiten beschuldigen sich gegenseitig unmenschlicher Grausamkeiten – Fußballspiele mit abgeschlagenen Köpfen, in die Kanalisation gesperrte Frauen und Kinder, Leichen als Vogelscheuchen usw.

Endlich konnten russische Menschenrechtler in diesem Jahr abchasische und georgische Journalisten dazu überreden, sich in Moskau miteinander an den Tisch zu setzen, wonach sie eine gemeinsame Erklärung herausgaben, die den Medienkrieg beenden sollte. Kurze Zeit später kam eine Nachricht aus Georgien, die von allen Medien gebracht wurde: in Abchasien sei Bürgerkrieg ausgebrochen, Waffenverstecke explodiert und Präsident Wladislaw Ardsinba von der Opposition gestürzt. Innerhalb weniger Stunden wußte ich, daß auch dies wieder nur ein Stück Desinformation war, mit potentiell katastrophalen Folgen.

Der Medienkrieg hat wieder begonnen.

Der Journalist Gennadi Zaworonkow arbeitet für die Moskauer „Obschchaja Gazeta“ und ist für „Dos'e na Tsenzuru“ nach Abchasien gefahren.