Hannover putzt den Sheriffstern

Niedersachsens Innenminister hat Hannover als erste deutsche Stadt für Kanthers Modellversuch angeboten, bei dem die Methoden der New Yorker Polizei angewendet werden sollen  ■ Von Jürgen Voges

Hannover (taz) – „Aktion Sicherheitsnetz“ hat Manfred Kanther die Modellversuche getauft, bei denen wie in New York nun auch in bundesdeutschen Großstädten vor allem „die sogenannte Alltagskriminalität mit größten Anstrengungen bekämpft“ werden soll. Und nach den populistischen Vorgaben seines Ministerpräsidenten Gerhard Schröder kann es nicht wundern, daß der niedersächsische Innenminister Gerhard Glogowski als erste deutsche Stadt Hannover für einen derartigen Modellversuch à la New York angeboten hat. Inzwischen will auch Bremen zur Kantherschen Sicherheitsstadt werden. Selbstverständlich begrüßt Bayern den Vorschlag des Bundesinnenministers ebenfalls, und die Berliner Innenverwaltung ist einem Kantherschen Sicherheitsnetz in der Bundeshauptstadt zumindest nicht abgeneigt.

„Kernpunkt der Arbeit ist eine entschlossene Verfolgung aller Delikte, einschließlich solcher der Alltagskriminalität (z.B. Sachbeschädigung, Schmierereien, Randale in Verkehrsmitteln)“, heißt es in dem Schreiben an alle Länderinnenminister, in dem Kanther am vergangenen Freitag seine Modellversuche skizziert hat. In den betreffenden Großstädten sollten die Kräfte von Polizei, Kommunen, Ausländerbehörden, Arbeitsämtern oder etwa auch der Sozialversicherungen mit Blick auf „Prävention und Verbrechensbekämpfung in neuer Form gebündelt“ werden. Auch sogenannte „freiwillige Polizeihelfer“ sollen nach Vorstellungen des Bundesinnenministers in den Sicherheitsstädten zum Einsatz kommen. Private Sicherheitsdienste sollen in die Projekte einbezogen werden. Selbst seinen Bundesgrenzschutz will Kanther im Rahmen der Modellversuche „zu Sondereinsätzen“ in den Städten bereitstellen.

Daß nun ausgerechnet in der Provinzmetropole Hannover bei der Kriminalitätsbekämpfung die rabiaten Methoden der New Yorker Polizei erprobt werden sollen, hat Landesinnenminister Gerhard Glogowski mit der bevorstehenden Weltausstellung begründet. Schon wegen der Expo 2000 biete sich in Hannover ein Pilotprojekt zum Sicherheitsnetz an, teilte das niedersächsische Innenministerium mit.

Bei der Zahl der Straftaten pro Einwohner rangiert Hannover traditionell im oberen Drittel der bundesdeutschen Großstädte. Es ist allerdings keineswegs Deutschlands Hauptstadt der Morde, wie die hiesige Lokalpresse immer wieder glauben machen will. Sieben Morde hatte die Polizei in der Stadt an der Leine im vergangenen Jahr zu registrieren. Die Gesamtzahl der Straftaten im Bereich der Polizeidirektion Hannover ging 1996 gegenüber dem Vorjahr um 6,3 Prozent zurück, lag damit unter dem Niveau des Jahres 1992. In ganz Niedersachsen ist die Kriminalität inzwischen sogar wieder auf das Niveau der späten achtziger Jahre, kurz vor der Öffnung der Berliner Mauer, abgesunken.

Niedersachsens Bündnisgrüne sehen den Schulterschluß von Manfred Kanther und Gerhard Glogowski denn auch in einer Linie mit den Äußerungen von Gerhard Schröder zur Bekämpfung der Ausländerkriminalität. „Immer vor den Wahlen wird der Sheriffstern poliert, doch diesmal will die SPD den größten Colt ziehen“, kritisierte gestern der Vorsitzende der Landtagsgrünen, Pico Jordan. Die grüne Landtagsabgeordnete und innenpolitische Expertin Silke Stokar wertet den von Glogowski befürworteten Modellversuch als eine „völlige Abkehr von der bisherigen niedersächsischen Politik der Inneren Sicherheit“. Das Kanthersche Sicherheitsnetz setze allein auf Repression, auf eine Verdrängung von Randgruppen oder der Drogenszene aus der Innenstadt. Damit werde das Kriminalitätsgeschehen in die Wohngebiete verlagert, warnt die Abgeordnete. Mit den kommunalen Präventionsräten, in denen in Hannover seit langem auch die Grünen mitarbeiten, hätten die Vorstellungen des Bundesinnenministers nichts zu tun. Für Silke Stokat stehen sich hier „zwei Modelle der Kriminalitätsbekämpfung unvereinbar gegenüber“.

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