Militärs beschuldigt

■ Islamische Heilsfront wirft der algerischen Armee Untätigkeit vor

Berlin (taz) – „Bis wann werden die Herrschenden in Algier diejenigen schützen, die von der Gewalt stillschweigend profitieren?“ fragt die Auslandsleitung der verbotenen Islamischen Heilsfront (FIS) in einem gestern veröffentlichten Kommuniqué. Die FIS reagierte damit auf die Massaker der letzten Wochen, bei denen die Soldaten und Polizisten nahegelegener Kasernen untätig zusahen, wie Hunderte von Menschen brutalst ermordet wurden. Die stundenlangen Schreie, Explosionen und MP- Salven konnten sie kaum überhört haben. „Die verschiedenen Verbände kommen ihrer Aufgabe, Schutz zu gewähren, nicht nach“, schlußfolgert die FIS und ruft zur Gründung von Selbstverteidigungsgruppen auf. „Wir bitten um die Hilfe des allmächtigen Gottes, damit wir die Aggression gegen uns, unsere Familie und unser Hab und Gut beantworten können“, heißt es am Ende des Schreibens.

Die FIS hat sich in den letzten Jahren immer wieder von den Anschlägen gegen die Zivilbevölkerung distanziert. Für sie sind die radikalen Bewaffneten Islamischen Gruppen (GIA), denen die meisten der blutigen Überfälle zugeschrieben werden, kriminelle, vom Geheimdienst geduldete und unterwanderte Banden. „Die Toten dienen als Vorwand für den Komplott gegen unsere Religion, unsere Nation und unser Land“, bekräftigte die nach ihrem Wahlsieg 1992 verbotene FIS.

Während in und um Algier bereits seit Tagen spontan gegründete Bürgerwehren versuchen, mit Knüppel und Äxten die Untätigkeit der Armee wettzumachen, operiert diese weiter im Landesinneren mit Hubschraubern und Fallschirmspringern. 200 mutmaßliche Terroristen haben man bereits getötet, verlautet aus halboffiziellen Quellen.

Währenddessen hat mit Sachsen-Anhalt das erste Bundesland auf die Forderung von Pro Asyl reagiert und schiebt seit gestern keine Flüchtlinge mehr in das vom Bürgerkrieg zerrissene Algerien ab. Reiner Wandler