Hemmungslose Identifikation

■ Die Tindersticks stemmen sich mit Melancholie und Dandytum gegen Verwertungszusammenhänge und vertonen das gepflegte Scheitern

Natürlich sind die Platten der Tindersticks Stimmungsmusik, also abhängig von einem bestimmten Mood, den sie auslösen, provozieren und verstärken. Nämlich einer üppigen Melancholie, die neben ihnen noch Nick Cave pflegt. Doch anders als bei dem Australier ist das Leiden bei den Tindersticks nur selten tragisch und niemals wütend. Flüsternd scheint sich Songwriter Stuart Staples in der Melancholie vielmehr eingerichtet zu haben. Er schaut aus dem Fenster, ohne etwas anzublicken und besingt Nachmittage, regnerisch, tatenlos, ideenlos. Dabei hausieren die Tindersticks mit dem „radical chic“von urbanen Dandys, tragen ihre Anzüge ab oder wenden – wie auf dem Cover ihres zweiten Albums – die Nähte nach außen. Sie nennen ihre Songs nach spanischen Städten und heuern für ihre Streicher-Arrangements Salsatrompeter an. Stilsicher integrieren sie so auch Images von Spanien, die weniger mit der Wirklichkeit gemein haben als mit Sketches of Spain von Miles Davis und dessen Eleganz des Scheiterns. Natürlich darf in dieser Inszenierung des Verlierens und des Verlusts der Rauch einer Zigarette genausowenig fehlen wie das Glas Whisky im Staub der Bar. Und alles, was man sich sonst noch unter gefallenen Dandys vorstellen mag. Doch bei den Tindersticks wird diese Pose durch ihre Konsequenz nicht zum Klischee, sondern bleibt immer Stil.

Stilsicher trägt Stuart Staples seine Haare gerne vor dem gesenkten Haupt und gibt im Gespräch den abwesenden Trinker und Bohémien – was dann etwa die aufgeräumten Moderatoren von VH-1 verstört. Gerade weil die Tindersticks dann nicht mehr ganz so glatt in Verwertungszusammenhängen des Geschäfts aufgehen, haben sie es inzwischen zu einiger Bekanntheit gebracht – mehr aber noch zu hemmungsloser Identifikation. Wenn man durch die Straßen läuft kommt es schon vor, daß hinter einem Vorhang zu Stuart Staples Balladen lauthals Karaoke gesungen wird. Das liegt gewiß vor allem an der Melancholie, die umarmt wird – und mit ihr der Auslöser dafür.

Doch – und das zeigt sich gerade auf ihrer dritten Platte Courtains – die Tindersticks sind nicht einfach nur melancholisch. Manchmal erschüttert ein trockener Witz das Arrangement. So nennen sie einen Song „Piano Song“, der keine einzige Klaviernote beinhaltet, ein Instrumental heißt „Singing“. Zudem gebiert sich Stuart Staples manchmal direkt und drastisch, unterbricht den Blick aus dem Fenster mit einem kernigen „We're gonna fuck in the bathroom“. Auch musikalisch unterbricht das Londoner Sextett die Stimmung gelegentlich, um diese in Zigeunerweisen und Erzählungen zu überführen. Doch bald schon kehrt die bekannte sanfte Melancholie zurück, die wie die Rosen auf dem Cover von Courtains aussieht. Doch diese sind lediglich aus zweiter Hand, gemalt. Vielleicht ist auch das nur ein weiteres Zeichen der neugewonnenen Ironie?

Volker Marquardt

mit Cornershop: Di, 16. September, 21 Uhr, Große Freiheit