Weltgemeinschaft der Chansonmitsinger

■ Der Schauspieler Dominique Horwitz interpretiert Jacques Brels gefühlige Chansons

Die Orte der großen Gefühle werden weniger. Aus dem Theater verschwinden sie immer mehr, im Kino bekommen sie ein Refugium im Kostümfilm zugewiesen, und das öffentliche Leben konzentriert große Gefühle auf einzelne große Momente wie das Begräbnis einer Prinzessin. Die Musik bleibt einer der wenigen Zufluchtsorte für große Gefühle, und im Chanson können sie sich besonders hemmungslos austoben. Wo sonst ließe sich noch die rührende Geschichte des Jungen erzählen, der allein im menschenleeren Paris seinen Freund zu Grabe trägt? Oder die des schüchternen Mannes, dem eine Juli-Liebe nicht nur die Frau, sondern auch den Freund nimmt?

Seit 30 Jahren hören wir Jacques Brel bei Geschichten wie diesen zu – mal melancholisch, mal wütend, mal verliebt. Manchmal folgen wir ihm auf einer spannenden Reise durchs flache Flandern, manchmal fahren wir mit in seiner Gefühlsachterbahn. Und bald können wir nicht nur den Text jeweils ein paar Sekunden vor dem Interpreten singen, sondern den Chanson richtig laut herausschreien. Und dann sind wir so glücklich, denn wir wissen, jetzt sind wir nicht mehr allein. Vor uns haben das außer Nina Simone und Klaus Hoffmann auch die zahllosen unbekannten Liebesbriefschreiber getan.

Doch eigentlich lassen wir uns diese Geschichten lieber von einer sonoren Männerstimme mit dem vielversprechenden Klang zwischen Lebenslust und Lebenserfahrung erzählen. Und deswegen gehen wir auch immer wieder in Kneipen und Foyers von Theatern, in denen Schauspieler hartnäckig der Frage nachgehen, ob jeder Mime auch ein Sänger ist. Der Mechanismus dafür ist nicht wirklich zu durchschauen, aber vor etwa zehn Jahren hat er wohl bei einem Brel-Abend von Dominique Horwitz schon einmal funktioniert.

Seitdem haben sich die Anzeichen gemehrt, daß es auch heute in den Kammerspielen gutgehen könnte. Horwitz hat sich mittlerweile nicht nur als Schauspieler, sondern auch als Sänger und Entertainer bewiesen. Zusammen mit Armin Pokorn arrangierte er vor drei Jahren eine faszinierende Dreigroschenoper-Version, und seit Wilsons Black Rider ist er der Teufel mit kratziger Stimme und sexy Hinken. Für Horwitz und eine fünfköpfige Band hat Pokorn nun Brels opulente Streicherarien neu arrangiert. Außerdem ist Dominique Horwitz in Paris geboren, hat lange dort gelebt und „fühlt sich Jacques Brel leidenschaftlich verbunden“. Na dann.

Matthias von Hartz Premiere: So, 14. September, 19 Uhr bis 28. September, Kammerspiele