■ Gedichte, Torsi, Lebenshilfe und nun auch noch dies:
: Fliegender Handel nimmt überhand!

Es gilt heute zu Recht als unanständig, da einfallslos, lustige Texte an Situationen in Eisenbahnen oder Kneipen aufzuhängen. Für den nächsten Satz habe ich mir auf der Fahrt von Köln nach Berlin in meine Kladde notiert: „Da aber Kolumnisten immer nur usw.“ Das kann man so stehenlassen.

Außerdem fing das Unheil gar nicht in der Kneipe an, sondern beim Essen. Vor unserem kleinen, alternativen Restaurant („Gehen wir zum Griechen oder zum Hippie?“) hatte uns der stadtbekannte Gedichtehändler aufgelauert, der Poeme aus eigener Feder für eine Mark handelt, die Werke der Klassiker aber für 50 Pfennig verkloppt. Wir nahmen drei von den eigenen, die erwartungsgemäß reimfrei davon handelten, daß man besser kommunizieren und seine Mitgeschöpfe in würdiger Ruhe lassen solle. Die Gedichte machten uns nachdenklich, so daß auch wir zu dichten begannen: Heute nacht / ist eine Taube gestorben / an Blausäure / neben der Pommesbude. Dann hatten wir alles aufgegessen und fuhren mit der Eisenbahn in die Schwulenkneipe um die Ecke, wo ein Mann aus einem anderen Kulturkreis Feuerzeuge in Form dickbusiger Damen-Torsi feilbot. Diesmal kauften wir nichts, sondern erwogen lediglich, den Armen zu warnen, denn bestimmt war eine nichtsahnende Kollegin bei den Lesben unterwegs.

Vor dem nächsten Biergarten empfing uns einer von diesen Straßenkunsthändlern, die immer auf Pappschilder schreiben: „Ich schreibe Ihren Namen auf ein Reiskorn.“ Wir lehnten freundlich ab und wünschten ihm hinterrücks Sabine Leutheusser-Schnarrenberger auf den Hals.

Aus Urheberrechtsgründen muß ich jetzt sagen, wie mein Begleiter hieß: Olaf. Die Sache mit den Rosenhändlern bleibt im folgenden aus Gründen nicht-wohlständiger Nicht-Überheblichkeit außen vor. Zwischen jenen hindurch bahnte sich jedenfalls ein junger Mann seinen Weg zu uns, der mittels lila überfärbter Jeans und grobmaschigem Lieblingspulli andeutete, er wisse, wie Welt und Menschheit zu retten seien. Die Sache mit der Rettung hatte natürlich etwas mit Energie zu tun, die man spüren und fließen lassen mußte, aber auch mit einer Verschwörung. Die war nicht in irdische Worte zu fassen, hatte aber etwas mit feindlicher Energie zu tun, die ausgesperrt gehörte. Aber auch Fragen hatte der junge Weise: Ob wir ihm wohl ein Bier finanzieren könnten. „Kausalitätenhändler!“ knurrte Olaf ihm hinterher, als der Junge sich trollte, um das Bier zu holen, das wir ihm aus Mitleid zugesagt hatten. Immerhin hatte er keine Gedichte geschrieben oder Nietzsche für ein halbes Bier angeboten. „Ganz schön teuer, so eine Kausalität.“ – „Immerhin eine Monokausalität.“

Für das zweite Bier erfuhren wir, jeder Mensch nenne eine immaterielle Entsprechung seiner selbst sein eigen, die über ihm schwebe. In einem Seminar, erklärte der jugendliche Kausalitätenhändler, habe er gelernt, damit zu kommunizieren. „Channeling“ nenne man das. Es könnten aber auch die immateriellen Entsprechungen untereinander kommunizieren – ohne den Umweg über die schnöde Leiblichkeit. „Channel- Crossing“ warf ich ein, um ihn zu beleidigen, aber Weltenretter sind immun gegen profane Ironie. Mit improvisiert bestürzten Blicken ordneten wir lausig wenig Kleingeld auf dem Tisch, um anzudeuten, wir seien entschiedene Gegner von Studiengebühren. Dann ging plötzlich alles furchtbar schnell: „Die Zeitung von morgen!“ rief jemand über das Biergartenareal, und schon zählte irgendwo jemand an: „Eins, zwei, drei, vier:“ – „Wir sind Abonnenten!“ schallte es eine Spur aggressiv durch den Stadtteil. Holger Wicht