Zwangssterilisierungen auch in Frankreich

■ Tausende von Frauen, die als geistig behindert galten, sollen gegen ihren Willen sterilisiert worden sein. Das Gesundheitsministerium prüft, die Praxis dauert an

Paris (taz) – Viele wußten davon, aber niemand hat etwas dagegen getan. So konnten in Frankreich in den letzten Jahren Tausende von angeblich geistig behinderten Frauen zwangssterilisiert werden. Erst seit gestern, als die Satirezeitschrift Charlie Hebdo die Praxis, die bis heute anhält, enthüllte, regt sich so etwas wie Empörung über den Skandal.

Zwischen 12.000 und 17.000 Frauen im gebärfähigen Alter, die gegenwärtig von Behinderteneinrichtungen betreut werden, sind laut Charlie Hebdo gegen ihren Willen und meist ohne selbst überhaupt informiert zu werden zwangssteriliert worden. 5.000 von ihnen gelten als „leicht behindert“, darunter Frauen mit Sprech- und Hörstörungen und solche, deren Intelligenzquotienten als „ungenügend“ gelten.

Die meisten Opfer sind zwangssterilisiert worden, als sie sehr jung waren – auf Veranlassung ihrer Familie oder einer Behinderteneinrichtung. Unter dem Siegel der Anonymität berichteten zwei Frauen in Charlie Hebdo darüber. „Ich war schwanger, und ich wollte das Kind behalten. Sie haben mich glauben gemacht, daß ich das Baby ohne eine Intervention verlieren würde. In Wirklichkeit wollten sie abtreiben. Sie haben die Gelegenheit genutzt, um meine Eileiter durchzuschneiden. Ich war 22 Jahre alt. Als ich es erfahren habe, mußte ich lange weinen“, erklärt eine heute 35jährige, die bei den Behörden als „leicht geistig behindert“ gilt. „Ich wollte ein Kind haben, aber man sagte mir, daß das wegen meines Hüftschadens nicht möglich sei. Das war ein Vorwand, um mich an der Hüfte zu operieren. Dabei hat man mir die Eileiter abgebunden“, beschreibt eine heute 42jährige, die in einer Zweierbeziehung lebt und „jedesmal, wenn sie Familien mit Kindern sieht, traurig“ wird.

In den gynäkologischen Einrichtungen stößt die Praxis der Zwangssterilisierung offenbar selten auf Proteste. Ein Klinikchef erklärte gegenüber Charlie Hebdo: „Wir operieren auf Indikation von Psychiatern oder Institutionen. Das ist nicht unsere Entscheidung.“ Eine Forscherin des nationalen Gesundheitsinstitutes Inserm, Nicole Diederich, versucht seit Anfang der 90er Jahre vergeblich, die Behörden und Politiker für den Skandal zu sensibilisieren. Die meisten ihrer Berichte versandeten. Im April vergangenen Jahres verfaßte schließlich das Nationale Ethikkomitee einen Bericht, der verlangt, daß die Sterilisierungen von „geistig Behinderten“ nur in „einer kleinen Zahl von dazu autorisierten Zentren“ stattfinden darf. Seit gestern prüft das französische Gesundheitsministerium die Lage. Dorothea Hahn