Billiglöhne und Jobwunder

„Überraschend hoch“ sei das Ausmaß der Niedrigverdienste in Deutschland und Europa, befand nach einschlägigen Berechnungen Tarifexperte Claus Schäfer vom DGB-nahen WSI- Institut. Als mies bezahlt gelten Jobs, mit denen ein Arbeitnehmer weniger verdient als die Hälfte des nationalen mittleren Einkommens. Laut Schäfer befindet sich Deutschland dabei im Vergleich mit anderen Ländern der Europäischen Union „im Mittelfeld“. Nach den zuletzt verfügbaren Zahlen von 1990 verdienten in Deutschland etwa 10,8 Prozent der Beschäftigten weniger als die Hälfte des Durchschnittseinkommens, Tendenz steigend. Gegenwärtig liegt der durchschnittliche monatliche Nettoverdienst je Erwerbstätigen in Deutschland bei rund 2.700 Mark.

Daß Niedriglohnsektoren die Arbeitslosenquoten senken, ist umstritten. Bei einer Analyse des „US-Beschäftigungswunders“ kamen Forscher des Nürnberger IAB-Instituts zu dem Schluß, daß hier „beschäftigungspolitische Erfolge“ mit steigenden Lohnungleichheiten einhergingen. Andere Vergleiche zeigen dagegen keine Zusammenhänge, weil für den Arbeitsmarkt viele andere Faktoren wie Produktivität und Wachstum entscheidend sind. So verfügt Spanien über einen größeren Niedriglohnsektor als Portugal, aber auch über höhere Arbeitslosenquoten.

Niedriglohn scheint zudem die Mobilität der Arbeitnehmer zu senken. Die besonders schlecht verdienenden „working poor“ in den USA und Großbritannien sind deutlich weniger flexibel als niedrig bezahlte deutsche Arbeitnehmer. Das zeigen Studien des Sozioökonomen Gerhard Bosch vom Institut für Arbeit und Technik in Gelsenkirchen.

In einigen westlichen Industriestaaten wurde ein gesetzlicher Mindestlohn verankert, in den USA liegt er bei umgerechnet rund 9,40 Mark. Das ist mehr als der Lohn für Erntehelfer im Gartenbau (5,85 Mark brutto) oder für Küchenhelfer (9,30 Mark) in Brandenburg.