Mehr als nur eine Geste

■ Das Schauspielhaus setzt kommende Spielzeit auf Kontinuität

Die zwei Männer sind mit ihrer Arbeit im reinen. Nicht, daß sie meinten, es gebe für sie keine Entwicklungsmöglichkeiten mehr. Nicht, daß sie sich jetzt selbstgefällig-zufrieden zurücklehnen würden. Aber die Grundrichtung stimmt, die Fundamente sind gelegt. Jetzt kann man daran gehen, vom Erreichten aus vorsichtig Neuland zu betreten und danach Ausschau zu halten, was sich sonst noch tun läßt.

Diesen Eindruck konnte man gestern vormittag im Foyer des zweiten Ranges des Hamburger Schauspielhauses gewinnen, als Frank Baumbauer, Intendant dortselbst, und sein Chefdramaturg Wilfried Schulz auf einer Pressekonferenz die Pläne für die kommende Spielzeit vorstellten. Und es besteht am Hause ja auch einiger Anlaß zur Zufriedenheit. Die gegenwärtigen künstlerischen Meriten hier auszubreiten hieße, Eulen nach Athen zu tragen. Und auch finanziell trägt das anspruchsvolle Konzept an der Kirchenallee durchaus. Die Auslastung konnte man um etwa fünf Prozent auf 65 Prozent steigern. Die durchschnittlich 700 bis 750 Besucher würden nahezu jedes andere deutsche Theater Abend für Abend bis auf den letzten Platz füllen. Zur Erinnerung: Gustaf Gründgens schaffte oft nur 60 Prozent.

Zufriedenheit also (allerdings sah sich Frank Baumbauer zu ein, zwei klagenden Bemerkungen über den Spardruck genötigt, dem sein Haus, wie die anderen Theater Hamburgs auch, ausgesetzt ist) und der Wille zum Ausbau des Erreichten. So überraschte es nicht, als Wilfried Schulz den Spielplan der kommenden Spielzeit mit dem Etikett „Kontinuität“ versah. Kontinuität herrscht vor allem bei den Regisseuren und dem Ensemble, die Veränderungen lassen sich hier an einer Hand abzählen. Auch die Grundzüge des Programms bleiben intakt. Allerdings fühlt man sich jetzt stark genug für die großen Klippen: So inszeniert Jossi Wieler Shakespeares Wintermärchen im Dezember und Anselm Weber den Don Carlos im Februar kommenden Jahres. Und bei der Gegenwartsliteratur stößt man ins Europäische vor: Geplant ist die Uraufführung der Hochzeitsreise von dem Russen Vladimir Sorokin wie die deutsche Erstaufführung des spanischen Stückes Nach dem Regen von Sergei Belbel. Weiteres Highlight: Frank Castorf inszeniert Brechts Puntila im September.

Bevor Heiner Müllers Verkommenes Ufer in der Inszenierung von B.K. Tragelehn am 15. September im Malersaal und Tschechows Drei Schwestern in der Einrichtung von Harald Clemen am 23. September auf der großen Bühne den Premierenenreigen der nächsten Spielzeit eröffnen werden, gibt es noch etwas Besonderes: Unter dem Titel „Am Anfang war das Wort“ werden am 9. und 10. September die aktuellen deutschsprachigen Theaterautoren gefeiert. Mit Lesungen, Szenen, Diskussionen und eben einem Fest zeigt das Schauspielhaus, wie sehr es sich von Rainald Goetz, Elfriede Jelinek und Co abhängig fühlt. Bei diesem Theater ist man zur Zeit sicher, daß es mehr ist als nur eine Geste. drk