„Hier wird mit Kanonen auf Spatzen geschossen“

■ In Bremen soll ab Oktober das beschleunigte Strafverfahren eingeführt werden / Die Bremer Strafverteidiger-Initiative hält dieses Vorhaben für verfassungswidrig

Blitzschnell läßt Elvira K. den 1.000 Mark teuren Diamantring in ihren Ärmel gleiten. Sie ahnt nicht, daß der Hausdetektiv sie beobachtet. Auch eine Verkäuferin hat den Diebstahl gesehen. Wenige Stunden später steht Elvira K. vor Gericht. Ein kafkaeskes Szenario? Mitnichten. In Bremen soll zum 1. Oktober das beschleunigte Verfahren eingeführt werden. Beim Amtsgericht werden dann DelinquentInnen, die nur eine geringe Strafe zu erwarten haben, schon Stunden nach der Tat verurteilt, und zwar auch an Sonntagen.

Mit dem Schnellgericht will Justitia der sogenannten Kleinkriminalität zu Leibe rücken. Die Strafverteidigerinitiative Bremen hat gegen die Einführung des beschleunigten Verfahrens protestiert. „Hier wird mit Kanonen auf Spatzen geschossen“, fürchtet ihr Vorsitzender, Rechtsanwalt Reinhard Engel. „Ich halte das sogar für verfassungswidrig.“Strafrichter Berward Garthaus sieht das anders: „Das ist ein gutes Verfahren, um mit effektiv mit Kleinkriminalität umzugehen.“Außerdem folge „die Strafe auf dem Fuße“.

Bevor es dazu kommt, müssen allerdings bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein: Der Sachverhalt muß einfach, die Beweislage klar sein. Die beiden Zeugen werden Elvira H. also zum Verhängnis. Außerdem bietet sich das Schnellverfahren nach Ansicht der Staatsanwaltschaft an, wenn die TäterInnen keinen festen Wohnsitz haben oder auf der Durchreise sind. „Wir kriegen endlich viele Sachen vom Tisch, die ansonsten sanktionslos blieben“, sagt Jan Frischmuth, Chef der Staatsanwaltschaft. „Ausländer, die nach der Tat sofort wieder ausreisen, können jetzt sofort bestraft werden. Bislang wurde die Akte fünf Jahre auf Frist gelegt, und dann ist nie etwas dabei herausgekommen, weil man die Täter nicht mehr erreichen konnte.“

Binnen zwei Stunden wollen Polizei und Staatsanwaltschaft künftig Verfahren wie das gegen Elvira K. anklagereif ermitteln. In dieser Zeit werden die Zeugen verhört und der Auszug aus dem Bundeszentralregister bestellt. Der Verwaltungsaufwand soll auf diese Weise reduziert werden. So wird zum Beispiel keine Anklageschrift mehr geschrieben, die Staatsanwaltschaft klagt mündlich an.

Bis 13 Uhr muß der Antrag auf ein beschleunigtes Verfahren beim Amtsgericht eingegangen sein, ansonsten wird erst am nächsten Tag verhandelt. Genau hier liegt für die Strafverteidigerinitiative das Problem. Seit Juni gibt es die Möglichkeit, TäterInnen bis zur Hauptverhandlung eine Woche in Haft zu nehmen. Wenn der Antrag im Fall Elvira K. nicht bis 13 Uhr bei Gericht eingegangen ist und die Staatsanwaltschaft davon ausgeht, daß sie sich vor der Verhandlung aus dem Staub macht, müßte sie die Nacht im Polizeigewahrsam verbringen. „Es besteht die Gefahr, daß Beschuldigte wegen nichtiger Anlässe in Haft genommen werden“, sagt Engel. Daß sich der Verwaltungsaufwand reduziert, glaubt er nicht. „Das sind Verfahren, die man viel schneller mit einem Strafbefehl erledigen könnte. Hier werden ohne Not Menschen kriminalisiert. Die Subkultur des Knastes hat noch niemanden gebessert. Das gilt auch für Menschen, die wegen eines Ladendiebstahls eine Woche im Knast sitzen.“

Eine Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr ohne Bewährung können die Richter im beschleunigten Verfahren verhängen. Wenn mit einer Strafe von mehr als sechs Monaten zu rechnen ist, muß ein Pflichtverteidiger beigeordnet werden. „Es kann sein, daß das problematisch wird“, räumt Frischmuth ein. Der Anwaltsnotdienst müßte ausgebaut werden, so Frischmuth. Außerdem gebe es bislang zu wenig Dolmetscher.

Daß die Gerichtsverfahren, die ansonsten bis zu drei Monaten dauern, durch die Beschleunigung auch billiger werden, glauben Frischmuth und Garthaus nicht. Das deckt sich mit den Erfahrungen der Münchener Justiz, die etwa 10 bis 15 Schnellverfahren täglich verhandelt. „Es gibt keine meßbaren Einsparungen“, so Pressesprecher Gerhard Zierl.

Übrigens: Bei einem Strafbefehl käme Elvira K. vermutlich mit einer Geldstrafe davon – ohne öffentliche Verhandlung. kes