Emotionen sichtbar machen

■ Das Shared Experience Theatre, das während der Hammoniale zum erstenmal in Deutschland auftritt, gilt als großer Geheimtip / Ein Interview

taz: Nancy Meckler, die von Ihnen geleitete Theatergruppe Shared Experience ist vor allem durch Adaptionen von Romanen bekanntgeworden. Was ist Ihr besonderes Interesse daran?

Nancy Meckler: Als ich 1987 die Leitung der Gruppe übernahm, war ich gar nicht so sehr an Adaptionen interessiert. Da wir jedoch durch die Städte touren, müssen wir immer im Hinblick auf unser Publikum produzieren. Wenn sich das Publikum mit den Aufführungen identifizieren kann, dann bekommt man auch die Theater. Die Adaption von Romanen begann also als rein pragmatische Entscheidung.

Die letzte Shared-Experience-Produktion basierte auf Tolstois „Anna Karenina“, momentan sind Sie mit George Eliots „Mill on the Floss“ auf Tournee. Haben Klassiker einen besonderen Reiz für Sie?

Die Themen sind einfach größer. Junge Autoren schreiben oft über die deprimierende Atmosphäre in England und wie schlimm der Drogenkonsum und die Armut im Land ist. Das ist alles wahr, aber es interessiert mich nicht, darüber Theater zu machen. Es bereichert uns nicht.

Das heißt, die Bühne soll Illusionen schaffen.

Ich möchte Dinge zum Ausdruck bringen, für die wir uns im täglichen Leben nicht genug Zeit nehmen. Konkrete Probleme bleiben oft im Raum hängen. Die Autoren fragen nicht nach. Es geht doch darum, diesen Dingen nachzuspüren. Das passiert in den großen Romanen sehr viel stärker. Es geht mir um die universelle Aussage, nicht um die persönliche.

Wenn man auf die Produktionen von Shared Experience zurückblickt, zieht sich das Thema emotionale Erfahrungen gradlinig durch. Warum ist das für Ihre Arbeit von solcher Wichtigkeit?

Das ist für mich die Grundlage jeder Theaterarbeit. Wir sind an Expressionismus interessiert. Das beinhaltet für mich in erster Linie die visuelle und körperliche Umsetzung von dem, was in Menschen vorgeht. Wir versuchen, das sichtbar zu machen, was normalerweise unsichtbar ist: Gefühle, Ideen, das, was Menschen zu verstecken versuchen. Mit naturalistischem Theater kann ich nichts anfangen.

„Es geht mir nicht um moralisches Theater“

Warum ist Ihre Arbeit dann noch so stark auf Text konzentriert?

Ich könnte nichts inszenieren, was nur mit Körpertheater zu tun hat. Ich liebe die Sprache ebensosehr wie den Körper. Außerdem glaube ich, daß man sich sehr begrenzen würde, wenn man völlig auf Sprache verzichtet.

Ist das auch ein Grund für Ihr offensichtliches Interesse am Geschichtenerzählen, das sie ja von sonstigen Freien Theatergruppen wie etwa dem kürzlich in Hamburg aufgetretenen Teatre de Complicite unterscheidet?

Ich möchte, daß das Publikum weiß, wohin ich es führe. Wenn es keine Geschichte gibt, dann ist es kaum möglich, die emotionalen Erfahrungen eines Charakters nachzuvollziehen. Geschichten ermöglichen es uns, zu der Psyche und den Obsessionen anderer Menschen Zugang zu haben.

Ihre Arbeit richtet sich also stark auf das Publikum?

Unbedingt. Wir wollen die Zuschauer emotional und intellektuell einbeziehen. Sie sollen vor allem an den emotionalen Kämpfen der Figuren teilhaben.

Geht es Ihnen darum, dem Publikum neue emotionale Erfahrungen zu ermöglichen?

Ich möchte vor allem, daß die Zuschauer durch die Figuren und deren Erfahrungen mehr von ihrem eigenen Leben und der Welt verstehen, vor allem vom emotionalen Standpunkt her. Mir geht es nicht um moralisches Theater, ich will niemanden ändern. Aber vielleicht verstehen die Zuschauer manche Dinge besser oder anders nach einer Aufführung.

Nun schildern Sie ja vor allem das Leben einer Frau im 19. Jahrhundert, mit all seinen Repressionen und Begrenzungen. Was können wir heute noch davon lernen?

Wir waren gerade in Indien, dort hat das Stück natürlich eine ganz andere Aussagekraft als hier, Frauen sind noch viel stärker von Benachteiligung betroffen. Hier, glaube ich, ist es vor allem von Interesse zu beobachten, wie sich Maggie selber beengt. Sie richtet ihr Leben stark nach dem, was von ihr erwartet wird. Es ist recht einfach, sich frei zu denken, doch es in der Realität umzusetzen ist etwas ganz anderes, weil es da um Rücksichten und dergleichen geht. Und das betrifft uns heute noch genauso wie vor fast 100 Jahren.

Sie arbeiten oft mit Frauen. Die Adaption stammt von Helen Edmundson, Polly Teale führte Regie mit Ihnen, und sie haben einen Roman gewählt, der von einer Frau geschrieben wurde, die unter männlichem Pseudonym veröffentlicht hat. Steht dahinter ein Konzept?

Nein, eigentlich nicht. Wir sind Frauen und deshalb interessieren wir uns für Themen, die mit Frauen zu tun haben.

„Ich liebe die Sprache ebenso wie den Körper“

Das heißt, Ihre Arbeit als feministisch zu bezeichnen würde zu weit gehen?

Wir sind – und sei es unbewußt – am Feminismus interessiert. Aber wir wählen unsere Stücke nicht danach aus. Es kommt aber auch darauf an, was man unter feministisch versteht. Ich mache nicht Theater, um darauf hinzuweisen, daß Frauen vernachlässigt werden oder um ein Gleichgewicht zwischen Männern und Frauen herzustellen. Ich wähle meine Inszenierungen nach meinem Interesse aus, was natürlich auch mit dem Frauenthema zusammenhängt.

Fragen: Nicola Graef

heute und morgen jeweils 20 Uhr, Sonnabend 15 und 20 Uhr, Kampnagel, K2