Faust auf feuchten Augenaufschlag

■ Spaß und Spiel: Molières „Der Menschenfeind“, eine Teamarbeit im Altonaer Theater

Betrüger, Verräter, Heuchler und Speichellecker: Wo er hingeht und was er auch unternimmt, sie sind schon da und machen ihm das Leben zur Hölle. Und weil er es nicht ertragen kann, daß die Menschen, die er liebt, ihre Macken, Schrullen und Bosheiten hemmungslos austoben, gibt's für Alceste nur eins: Bloß weg von dem verlogenen Pack!

Es scheint, als hätte Molières Menschenfeind einen geeigneten Aufenthaltsort gefunden. Auf die große Bühne des Altonaer Theaters paßte er am Premierenabend am letzten Donnerstag jedenfalls wie die Faust auf Celimènes feuchten Augenaufschlag. Es gab wenig, worüber man hätte meckern können: höchstens, daß das Sprachtempo manchmal die Konzentrationsfähigkeit des Publikums arg strapazierte. Und wer nicht weiß, was eine Tragikomödie ist, sollte sich die Inszenierung von Matthias Schulze-Kraft anschauen und feststellen, daß dieses Genre in seiner besten Form nur einen Zweck verfolgt: zwei Stunden Spaß im Theater zu bieten. Was auch sonst.

Diese Aufführung macht den Eindruck perfekter Teamarbeit. Bühnenbildnerin Barbara Ehnes stellt vier Bistro-Tische vor einen psychedelischen Hintergrund. Caroline Dohmen entwirft angenehm unprätentiöse Kleidungsstücke: Weiß für die Gute, Grün für die Giftige, zeitlose Anzüge für die Herren. Was woanders als peinlicher Symbolismus durchfallen würde, paßt hier prima. Rüdiger Schaade spielt Nirvana ein. Mehr braucht's nicht, um den acht Darstellern ihre Spielwiese zu sichern.

Peter Schulze-Sandow wird seiner Rolle als ein an der bösen Gesellschaft verzweifelnder Alceste gerecht, die erste Geige spielen darf er aber nicht. Das wollen – und sollen – sie fast alle: Philinte (Karsten Laske) als selbstgerechter Gutmensch, der sich durch das Hintertürchen in Eliantes pausbäckiges Wesen schleicht. Celimène (Victoria Voss) als listige Kröte, der fast alles in den Schoß fällt, weil sie 20 Jahre alt und schön ist. Oronte (Thomas Otto) als aufgeblasen-dümmlicher JR-Verschnitt und, an Midlife-Crisis und Hühnergesicht wunderbar kränkelnd, Arsinoe (Meike Harten). Man könnte sie allesamt treten und zum Misanthropen werden wollen, wenn sie einem nicht so ähnlich wären.

Und so straft das Altonaer Theater die immer wieder geäußerte Auffassung lügen, mit Klassikern sei kein Blumenstrauß mehr zu gewinnen. Die Menschheit war schon 1666 ein unperfekter Haufen von Angebern, und daran hat sich bis heute nichts geändert. Wie beruhigend.

Barbora Paluskova

Bis zum 27. September, 20 Uhr, Altonaer Theater, Große Bühne