Geiselnahme im Theater

■ 60 Leute fast zwei Stunden in der Gewalt des (un)organisierten Verbrechens

Nur knapp entgingen 60 leichtsinnige Gäste des Jungen Theaters ihrer Erschießung. Gegen 20.30 Uhr stürmte eine vermummte und bewaffnete Gestalt den bekannten Veranstaltungsraum im Viertel und zwang die Anwesenden, zwei Stunden Kabarett zu ertragen. Wie aus gut informierten Kreisen verlautete, ahnten die Opfer schon vorher, was ihnen blüht. Die allermeisten sollen sogar freiwillig Eintritt bezahlt haben, um sich von der italienischen Geiselnehmerin, die sich Francesca De Martin nannte, mit Pointen beschießen zu lassen.

Als nach einer Stunde keine der Geiseln eine zehnminütige Unaufmerksamkeit der Täterin zur Flucht nutzte, verzweifelte die Täterin ob des grenzenlosen Gehorsams der Deutschen und nahm dies zum Anlaß, ethnologische Beobachtungen über Italiener und Deutsche an sich darzulegen. So erfuhr man u.a., daß Italienersein wesentlich eine Frage der Espressokonzentration im Blut ist. Der Genuß von 15 Espressotassen täglich über 20 Jahre, so De Martin, genüge bereits, um aus einem lahmen Teutonen einen überdrehten Südländer zu machen. Das dann noch nötige Know How zur vollständigen Italianisierung – Adressen von Camorra, Mafia, Eisdielen- und Pizzeriendachverband – verteilte die Geiselnehmerin auf Disketten, die sie in großem Umfang mit sich führte.

Anschließend erging sich die Neapolitanerin in der gestenreichen Schilderung kompromittierender Details aus ihrem verkorksten Familienleben. Ihr Vater, behauptete sie, rotzte in der familieneigenen Pizzeria immer unter die Salamischeiben, ehe er sie den Gästen vorsetzte. Ihr Onkel, den sie häufiger „figlio die puttana“nannte – was wir besser nicht übersetzen, weil es Hurensohn heißt – fummelte mit Vorliebe an den „cosche“seiner Nichte herum.

Zwischenzeitlich fühlte sich De Martin von einer Geisel namens Herbert sexuell belästigt. Sie drohte damit, ihm in die Knie zu schießen und informierte zudem dessen ahnungslose Ehefrau per Handy, daß Herbert gerade mit einer Blondine im Theater den Seitensprung vorbereite. Über das weitere Schicksal von Herbert ist momentan nichts bekannt. Der Versuch einer Liveübertragung des Geiseldramas durch den Sender SAL 1 scheiterte, weil sich De Martins Tat nicht blutig genug gestaltete.

Als die Geiselnehmerin schließlich die Geiselhaft aufhob, applaudierte das Publikum wie irre und bat gar um Zugabe. So sind die Deutschen. zott

Weitere Gelegenheiten zur freiwilligen Freiheitsberaubung, zu der wir heftig raten: Heute und morgen, jeweils um 20.30 im Jungen Theater