■ Zur Einkehr
: Karstadt

Zwischen Leuchtenstand und Schnäppchenmarkt liegt sie – die Rettungsinsel für geschlauchte Menschen nach drei Etagen Kaufhausstreß. Karstadt-Restaurant nennt sich die Futterstation, wo TrägerInnen zahlloser Einkaufstüten Nahrung aufnehmen, ehe der portemonnaiegefährdende Weg zurück in die Sögestraße ansteht.

Die Essenspräsentation gleicht im Aufbau der Abteilung Herrenoberbekleidung: Rechts der Getränkewühltisch, zentral liegen die Süßwaren und Salataccessoires, links das Antipasti-Regal. Vorne sitzen schließlich zauberhafte Kittelwesen, die sich nach Sätzen wie „19 bitte 120“plötzlich in Bewegung setzen und ansonsten die Kasse bedienen.

Die Tageskarte suggeriert ständig wechselnde Speisen, unterliegt aber bei nachhaltiger Beobachtung doch Adornos Diktum der ewigen Wiederkehr des Immergleichen. Überhaupt entfaltet dieser Selbstbedienungsladen seinen Charme erst, wenn man ihn regelmäßig frequentiert. So kann derjenige, der mehrmals am Tag vorbeischaut, erstaunlichen Lebensmittelmetamorphosenbeiwohnen. Was zu Beginn als Zucchinisalat, angebratenes Paprikagemüse oder gedünsteter Blumenkohl ins Leben tritt, verwandelt sich unter Einsatz von Heizspiralen im Laufe des Tages zu einer ins Graue neigenden Zellansammlung, um schließlich, unter einem blickdichten Käsesargdeckel begraben, seine Auferstehung als gemischter Gemüseauflauf zu feiern. Der Preis ist das einzig Konstante an dieser Speise.

Gegenüber den äußeren Witterungsbedingungen resistenter erweist sich die Kuchentheke. Leckere Kalorienbomben mit den geistreichen Namen Orange-Sahneschnitte, Käsefrucht-Sahneschnitte, Joghurt-Waldfrucht-Sahneschnitte und – ja tatsächlich, Lübecker Nuss-Sahneschnitte warten auf die Renten zuckersüchtiger SeniorInnen.

Eine physikalische Lehrstunde in Sachen Masse und Volumen erlebt immer wieder aufs neue, wer meint, ein kleiner Salat vom Buffet genüge, um das leichte Rumoren unter der Gürtelschnalle abzustellen. Einmal in die Salatblätter gelangt, kurz den Dosenmais gestreift, einzelne Dosenkidneybohnen in die Schüssel purzeln lassen, zur farblichen Abrundung einen Idee geraspelter Dosenmöhren hinzugefügt, schon gibt man sich der Illusion hin, mit ca. 5,37 Mark davonkommen zu können. Gedankenverloren träufelt man einen Tropfen Dressing auf die Tragödie – und auf einen Schlag wiegt das Ganze ein halbes Kilo und das zweifelhafte Vergnügen reißt gemeine 14 Mark aus der Geldbörse. Den Restinhalt trägt man notgedrungen zu Sport-Karstadt, um sich die nun nötige Revitalisierungsausstattung zuzulegen. zott