■ Nachschlag
: Austariert, umgekippt: „Gärten des Grauens“ im Renaissance Theater

Wer ein schnuckeliges Häuschen sein eigen nennt, steckt zunächst das Revier ab. Ob Holzzaun oder Buchsbaumhecke, Hauptsache, man muß Nachbars Blagen nicht sehen, und auch ihr Hund bleibt da, wo er hingehört: Deutschland ist das Gartenzaunland. Daniel Call, ein junger Berliner Dramatiker, drischt in seinem Stück „Gärten des Grauens“ hübsch dreist auf diese Zaunmentalität ein. Richarda Beilharz hat die „Gärten“ mit dem Theater Affekt im Studio des Renaissance Theaters als Speed-Nummer inszeniert.

Sonni und Siggi sind ein junges Erfolgsehepaar: Modeboutique heiratet Chemielabor. Die beiden ziehen in eine neue Wohnung, richten sich in teurer Schlichtheit ein. Keine Kinder, klar, aber viel Spaß und Arbeit. Wand an Wand, Garten an Garten, wohnt leider Siggis Bruder Friedo mit Frau Frieda. Er schleppt verranzte Altmöbel für die Lifestyle-Wohnung an, sie lauert der Schwagerfrau im Treppenhaus auf, um sie totzuquatschen. Anna Böttcher spielt Frieda und ist der perfekte Wahnsinn: Als Erdnußflips schleudernde Stimmungsterroristin erobert sie Nachbars Garten und Behausung, hat von Tuten und Blasen keine Ahnung, trötet aber trotzdem permanent von der Halbbildung, die sie in Volkshochschulkursen eingesammelt hat. „Ich wußte gar nicht, daß Hitler sechs Millionen Juden umgebracht hat“, ist ihr erster munterer Satz, bevor sie erklärt, daß ja wohl Gardinen in die Fenster gehören.

Der Rest der Familienbande strampelt reichlich steif über die angeschrägte Bühne, in die Franziska Rast zwei Wohnbadewannen eingelassen hat. Zu sehr möchten sie die tumben Gartenzwerge und Art-deco-Yuppies in Abziehbildern karikieren. Das austarierte Spießerspiel, das zwischen zwei verbiesterten Lebensentwürfen und vier hochneurotischen Menschen den totalen Krieg entstehen läßt, gerät der Regisseurin Beilharz zu schnell aus der Balance. In der zweiten Hälfte schnurren die „Gärten des Grauens“ dann auch pfeilgerade auf eine Schwabsche Fäkalienschlacht mit tödlichem Ausgang und kannibalistischem Nebenschauplatz zu: makaber, lustig, aber nicht besonders spannend. Kolja Mensing

Renaissance Theater (Studio); Knesebeckstraße 3, Charlottenburg. Weitere Aufführungen: heute, 16. bis 20., 23. bis 27. September