„Was macht Ihr Partner?“

Streßinterviews: Die Fragen kommen Knall auf Fall, oft rüde, privat und provokativ. Damit getestet werden Schlagfertigkeit und Widerstandskraft  ■ Von Irina Schefer

Die Stellenanzeige war Silke B. ins Auge gesprungen: Engagierte UnternehmensberaterInnen gesucht. Geboten wurden freie Zeiteinteilung und gute Dotierung; vorausgesetzt wurden Kommunikationsstärke, Durchsetzungsvermögen und Flexibilität. Eine Adresse enthielt die Anzeige nicht, nur eine Telefonnummer war angegeben.

Bevor sie zum Hörer griff, übte sie ein paarmal laut ihren Einstiegssatz. Schließlich mußte er sofort Interesse wecken. „Warum sollte ich Ihrer Meinung nach mit Ihnen einen Termin ausmachen?“ erkundigte sich ihr Gesprächspartner mit kühler Zurückhaltung. Sie schilderte kurz ihren beruflichen Werdegang. „Was sehen Sie als Ihre Stärke an?“ wurde sie unterbrochen. „Ich kann mich schnell auf neue Situationen und Menschen einstellen“, parierte sie. „Gibt es etwas, das Sie nicht können?“ – „Ja, warten!“ Es folgte eine winzige Pause – und die Einladung zu einem Vorstellungsgespräch.

„Mach dich auf ein Streßinterview gefaßt“, riet ihr ein Bekannter, der lange Jahre als Personalleiter gearbeitet hatte. Streßinterviews sind eine besonders harte und nervenaufreibende Form des Bewerbungsgesprächs. Streßsituationen, die auch in einem „normalen“ Interview vorkommen, werden systematisch geschaffen. Ziel ist, den Bewerber aus der Reserve zu locken, ihn zu unbedachten Äußerungen zu verleiten und zu provozieren, um so seine Widerstandskraft, seine Souveränität und Schlagfertigkeit auf die Probe zu stellen. Dazu werden Unterstellungen formuliert wie „Mit Ihrer angeblichen freiberuflichen Tätigkeit wollen Sie doch nur Lücken in Ihrem Lebenslauf kaschieren!“, oder es werden offensichtliche Schwachstellen des Bewerbers erörtert. Zum Repertoire gehört auch, daß mehrere Interviewer abwechselnd Fragen stellen, die Fragen auf den Bewerber niederprasseln oder daß der Bewerber persönlichen Angriffen ausgesetzt wird („Ich kann mir nicht vorstellen, daß Sie bisher erfolgreich waren!“). Zusätzlich wird der Streß oft durch ständige Unterbrechungen, lähmende Gesprächspausen oder fortwährenden Widerspruch verstärkt.

Auf all das ist Silke B. gefaßt, als sie die Nobelvilla betritt. Die Ausstattung macht einen eleganten, aber irgendwie unterkühlten Eindruck. Und unterkühlt ist auch das Lächeln, mit dem die Vorzimmerdame sie bittet zu warten, da „Herr X noch im Gespräch“ sei. In der Zwischenzeit solle sie schon einmal den Fragebogen ausfüllen. Silke B. kommt aus dem Staunen nicht heraus. Neben Fragen zu ihrem beruflichen Werdegang soll sie beantworten, ob sie einen Partner hat, was der beruflich mache, welches Auto sie fahre. Sie weigert sich, den Bogen auszufüllen.

Wenig später tritt ihr Gesprächspartner aus seinem Zimmer: mittleres Alter, gutgekleidet und gutaussehend. Nach einem knappen Händedruck bittet er sie, ihm ins Konferenzzimmer zu folgen und am gegenüberliegenden Ende des etwa vier Meter langen Konferenztischs Platz zu nehmen. Mit bewußt energischem Schwung reicht sie ihm ihre Unterlagen über den Tisch, hält seinen Blicken tapfer stand. Dann kommen die Fragen, Schlag auf Schlag. Wie sie sich ihre Aufgabe vorstelle; was sie an der Tätigkeit reize; wie sie mit Zeitdruck umgehe, mit Kritik; ob sie lieber im Team oder allein arbeite; was sie unter Erfolg verstehe; wie sie reagierte, wenn die Ehefrau des Firmeninhabers beim Gespräch anwesend sei, was sie ..., warum sie ..., wann sie ...

In einer Gesprächspause unternimmt Silke B. den Versuch, Näheres über den Aufgabenbereich zu erfahren. Sie wird brüsk zurückgewiesen. Fragen der Bewerber scheinen nicht erwünscht. Der Aufgabenbereich, den er ihr dann schildert, entpuppt sich im wesentlichen als Akquise-Tätigkeit.

„Trauen Sie sich die Aufgabe zu? Frauen haben es in diesem Job noch nie lange ausgehalten“, greift ihr Gesprächspartner erneut an. „Haben Sie diesen Eindruck von mir gewonnen?“ kontert sie ruhig. Statt einer Antwort fixiert er sie wortlos. „Möchten Sie noch etwas wissen?“ fragt sie nach einer kleinen Ewigkeit. „Ja, ich möchte wissen, was Sie von mir halten!“ Silke B. glaubt nicht recht zu hören. Am liebsten würde sie ihm ja die Wahrheit sagen. Aber sie hat sich entschlossen, die Sache durchzuziehen, sie als Generalprobe für den Ernstfall zu nutzen. Sie fragt: welchen Beruf er erlernt habe, wie er mit Mitarbeitern umgehe, ob er verheiratet sei. „Also, lassen wir es auf einen Versuch ankommen“, hört sie schließlich seine Stimme, „Montag um zehn Uhr sind Sie hier!“ [da ist frau aber froh! die korr.in] Als sie draußen zu sich kommt, stellt sie fest, daß mehr als eineinhalb Stunden vergangen sind. „Gut funktioniert“, findet ihr Bekannter. Und der muß es ja wissen.