Wand und Boden
: Buchstaben trampeln aufeinander herum

■ Kunst in Berlin jetzt: Susanne Paesler, Fabrice Hybert, Antje Dorn, Anja Knecht

Mit dem Umzug in die Gipsstraße hat die Zwinger Galerie an Spielraum gewonnen. Im neuen zweiten Galerieraum besticht eine lange Sitzbank. Sie ist sehr dienlich, um sich die Bilder an der Wand in Ruhe anzuschauen. Wie diese stammt sie von Susanne Paesler und wird mit dem Ende der Ausstellung leider verschwinden. Wie die Bilder kennzeichnet die Bank ein minimalistischer Ausdruck. Dennoch verspricht das Sitzmöbel Komfort, so wie die strikten Karos der Bilder mit luxuriösen Farben aufwarten – selbst wenn sie dem Sitzbezug eines Opel Manta abgeschaut sind.

Susanne Paeslers Quadratmuster verdanken sich einer streng realistischen malerischen Verdoppelung vorhandener Stoffmuster, wobei sie ebenso das Design eines teuren Herrenanzugs wie das eines Küchenhandtuchs zeigen können. Dem immer als straff gespannt zu denkenden, mit geradezu mathematischer Präzision ausgerichteten Stoff, den sie mit mattem Lack oder glänzendem Alkyd auf Aluminium, MDF- Platten oder Leinwand reproduziert, steht jetzt bei Zwinger ein großes Farbfoto entgegen. Es zeigt die Aufsicht auf ein ungemachtes Bett, dessen weiße Schlafdecke und blauer Überwurf kunstvolle Falten schlagen. In die linke Bildecke gerutscht, wirken die Decken wie ein Theatervorhang, der sich für ein Drama öffnet, das aber hinter der glatten, kühl kalkulierten Oberfläche ihrer Bilder verborgen bleibt.

Bis 11.10., Di-Fr 14-19, Sa 11-14 Uhr, Gipsstr. 3

Bei Eigen + Art hat Fabrice Hybert auf das Drama sofort reagiert und das Foto einer Society- Schönheit übermalt: „LLL... (Lady Di)“ wurde aktuell über „Plant force“ gehängt. Ansonsten dreht sich Hyberts Ausstellungsprogramm um sogenannte „Prototypes d'objets en Fonctionnement“ (P.O.F.). Darunter sind verschiedene Gerätschaften zu zählen, die dem Benutzer neue Handlungsmöglichkeiten und körperliche Bewegungen eröffnen. Zeichnungen erläutern den richtigen Gebrauch ebenso wie ein Video, auf dem ein hübscher Transvestit (als Spezialist für Umformungsprozesse) die Hybertschen Transformationen eines Kopfhörers demonstriert.

Auf einem Tisch liegt der Lageplan einer unterirdischen Messehalle in Leipzig, in der Hybert ab dem 18. September 100 solcher Prototypen vorstellen wird. Da die Prototypen – mit Ausnahme der weltweit 18.000mal verschickten Einladungskarte, die den Künstler mit dem goldenen Plüschlöwen für seinen Pavillon von Venedig zeigt – eigentlich nie in Serie gehen, möchte man vermuten, daß seine Kunst in Leipzig auf großes Entgegenkommen stößt. Schließlich ist dort das Phänomen, daß die besten Entwürfe nie weiterverfolgt wurden, den Leuten bestens vertraut.

Bis 18.10., Di-Fr 14-19, Sa 11-17 Uhr, Augustsstraße 26

Als Prototypen könnte man vielleicht auch das große „Ö“ von Antje Dorn betrachten oder ihre vereinzelten Piktographien aus der Serie „Öl“, wie etwa das wollige Schaf auf straßenschildblauem Untergrund. Selbst wenn sie auf ihren Bildtafeln seriell hintereinander Kochmützen aufreiht, wirkt das nicht sonderlich beweiskräftig. Dafür, daß hier nicht der schiere Mutwillen am Werk wäre.

In ihrer ersten Einzelausstellung in der museumsakademie geht sie mit „Quit“ gegen das wohlsortierte Alphabet vor. In zwei langen Bildserien werden dessen Buchstaben erstaunlich lebendig, sie trampeln aufeinander herum, große Buchstaben gebären kleine, manche wollen sich aus dem Bild verziehen, und dann dehnen sich die Querstriche enorm in die Breite. Manches Ä pufft dafür viel zu viele Punkte aus. Vor allem aber sitzen die Bs und Es und Üs schwarz und fett in einem ebenso pastendick aufgetragenen Ölfarbenumfeld.

Gnadenlos setzt Dorn Senfgelb neben Rosarot oder Kackbraun unter strahlendes Türkisblau. Zwischen den Bildern hocken kleine Flaschenfamilien am Boden, anderswo kriechen die Buchstaben dünne Holzstangen hoch oder halten sich an Gartenschläuchen fest. Manchmal schwebt eine völlig buchstabenlose Sprechblase als Laubsägearbeit an der Wand. Dorn geht ihre Neucodierung des Alphabets sehr entschieden an, daß sie dabei unterhaltsam ist, muß nicht als Fehler gelten, im Gegenteil.

Bis 5.11., Di-Sa 14-19 Uhr, Rosenthaler Straße 39

Der Weg nach oben ist ein bißchen mühsam, aber dann steht man in einem geräumigen Dachgeschoß, das Anja Knecht in einen abgedunkelten Projektionsraum verwandelt hat. Eine zunächst kaum überschaubare Anzahl von Diaprojektoren streut ihre Bilder in den KunstraumMitte. Mal erkennt man das Profil einer asiatischen Frau, mal verwechselt man einen Mond mit einem Mund, und überhaupt muß man genau schauen, um die Projektionen an allen möglichen Speicherflächen zu finden; etwa den Ausstellungstitel „accurarcy in terms of“, im unteren Viertel der geöffneten Eingangstür.

Knecht interessiert die Präzision motorischer Bewegungen beim Tanz oder beim Golfspiel. Dazu fotografierte sie Bilder aus den entsprechenden Lehr- und Handbüchern ab, die sie nun an die Wand wirft. Gleichzeitig verzerrt sie deren Projektion, indem sie eine durchsichtige Diaschachtel oder ein paar Plastikgläser vor die Projektionslinse stellt. Dem wissenschaftlich-methodischen Grundlagenmaterial folgt eine verunsicherte Wahrnehmung.

Eine Toninstallation treibt die Sache weiter: Wie lange braucht ein Kind, um zu wissen, daß Feuer heiß ist? Freunde und Bekannte hinterließen ihre Antwort auf dem Anrufbeantworter. Nur einer bemerkte, daß zur Wahrnehmung die Sprache, der Begriff „heiß“ hinzukommen muß.

Bis 27.9. Sa 18-21 Uhr, Brunnenstraße 192 HH Brigitte Werneburg