Lehrerinnen mit Kopftuch? Da geht so manchem Schulrat der Hut hoch. Nicht an allen Schulen im christlichen Deutschland geht es so locker zu wie in einer Wuppertaler Grundschule: Für Konrektorin Ulrike Thoenes, eine Deutsche, die zum Islam konvertierte, hat das Kopftuch nichts Fremdartiges. Von Heide Platen

Oben mit erregt Anstoß

Ulrike Thoenes mag nicht mehr: „Ich hasse solche Gespräche!“ Die drehen sich in den letzten Monaten immer wieder nur um eines: „Um das Kopftuch, diesen einen Quadratmeter Stoff.“ Davon hat die 44jährige nicht nur einen, sondern mindestens 50 in allen Farben – schneeweiße, ganz bunte, rabenschwarze. Und die trägt die 1986 zum Islam konvertierte deutsche Muslima, eine von über 5.000, nicht nur privat, sondern, „das ist für mich ein Glaubensbekenntnis“, auch während des Unterrichts in der Grundschule in der Narather Straße in Wuppertal.

Auch an diesem Sommertag im August hält sie sich streng an die Bekleidungsordnung des Propheten, die in der 24. der 114 gereimten Suren des Koran festgehalten ist (vgl. Kasten rechts). Unter ihrem weißen Tuch lugt nicht ein Härchen hervor, die strenge Leinenjacke ist bis unter den Hals zugeknöpft, der karierte Rock reicht an die Knöchel, die Beine sind in undurchsichtige, weiße Strümpfe gehüllt.

Das ist selbst vom Propheten beim Besuch von Frauen im eigenen Haus nicht gefordert, sondern Auslegungssache. Mohammed habe allerdings, so steht es in von seinen Anhängern später überlieferten Begebenheiten, selbst Hand angelegt, um die für ehrbare Frauen in der Öffentlichkeit einzig ziemliche Tracht zu beschreiben, und dabei vor allem das, was von ihnen gerade noch sichtbar sein dürfe. Ulrike Thoenes demonstriert das mit kleinen Handbewegungen. Eine fährt eine Runde über ihr Gesicht von der Stirn bis zum Kinn, dann zwei Gesten über die Hände gerade von den Fingern bis zu den Knöcheln der Handgelenke.

Ärger mit dem nordrhein-westfälischen Kultusministerium habe sie bisher nicht bekommen, nachdem ihre „sehr gläubige“ katholische Rektorin sie als Stellvertreterin vorgeschlagen hatte. Der für sie zuständige Schulrat habe ihr auf ihre eigenen Bedenken hin sogar Mut gemacht und gesagt, es sei notwendig, „in der heutigen Zeit Zeichen der Toleranz zu setzen“. Das Kopftuch, doziert Ulrike Thoenes, habe „nichts Fremdartiges“, sondern sei schon immer im deutschen „Straßenbild manifestiert“ gewesen.

Sie selbst trägt eines auf einem Foto von ihrem ersten Schultag. Außerdem seien Muslimas gerade im deutschen Nordwesten inzwischen ein gewohnter Anblick, auch für die Grundschulkinder, die bei einem Ausländeranteil von bis zu 75 Prozent mehrheitlich selber Muslime sind. Frau mit Kopftuch ist für sie ganz normal. Nur eben nicht bei einer Deutschen. „Bist du auch Marokkanerin?“ fragen sie. „Nein? Dann willst du Marokkanerin werden?“ „Die Kinder“, sagt Thoenes, „verstehen noch nicht, daß der Islam eine Weltreligion und nicht an irgendeine Nationalität gebunden ist.“ Deutsche Handwerker hielten sie für die Putzfrau.

1986 hat Ulrike Thoenes vor Zeugen die Worte gesprochen, die ihrer persönlichen Sinnsuche ein Ende bereiteten: „Es gibt keinen Gott außer Gott, und Mohammed ist sein Prophet.“ Dazu brauchte es für deren Gültigkeit nur zwei männliche oder aber vier weibliche Zeugen. Vier weibliche? Ja, das irritiert sie am Islam auch. Aber schließlich sei sie, wiederholt sie mit leichter Strenge im Ton zum dritten Mal, nicht irgendeiner Sekte beigetreten: „Der Islam ist eine der drei Weltreligionen.“ Die Stirn über den großen, kajalumrandeten blauen Augen zieht sich kraus: „Es gibt ja auch im Christentum ein paar Sachen, die man nur glauben kann.“

Ängste ihrer Familie, sie könnte Opfer von Aggression und Ausländerfeindlichkeit werden, haben sich inzwischen gelegt. Thoenes, die einem liberalen, weltoffenen Islam das Wort redet, hat auf ihrer „Suche“ gefunden, daß ihr gerade die pragmatischen Alltagsregeln des Islam Sicherheit geben. Sie pocht darauf, daß die Tracht freiwillig als äußeres Zeichen der Gläubigkeit getragen wird. Regierungen, die Andersgläubigen ihre Kleiderordnung aufzwingen wollen, findet sie bigott: „Wie soll ich denn da noch die Muslimas erkennen können?“ Daß sie durch ihre Kleidung in der Schule die Gefühle der Angehörigen anderer Religionsgemeinschaften verletzen könnte, glaubt Ulrike Thoenes nicht: „Wen denn? Ein Zuviel an Kleidung kann gar nicht verletzend sein.“

Renate Beyer (Name von der Red. geändert) fehlt die rheinische Unbekümmertheit ihrer Wuppertaler Kollegin. Sie ist streng und blaß unter dem schwarzen Kopftuch. Ihre Konvertierung hat sie fast alle Freundinnen gekostet. Die 21jährige hat gerade ihr Studium fürs Lehramt begonnen und will eigentlich gar nicht über ihren Glauben reden. Ausgelacht worden sei sie in ihrer hessischen Heimatstadt. Deshalb ist sie nach Frankfurt gezogen und erhofft sich hier „mehr Toleranz und weniger Anmache“. Ihre deutschen Bekannten hätten sauer reagiert, sagt Renate Beyer, vor allem die jungen Frauen. Auch ihre Eltern sind „immer noch geschockt“. Zum Islam sei sie durch einen ägyptischen Freund gekommen. Die Freundschaft ist vorbei, seit er erfahren mußte, daß es ihr ernst war mit dem neuen Glauben: „Das hat der nicht verkraftet. Er war so stolz auf seine deutsche Freundin. Und dann rannte ich auf einmal mit dem Kopftuch rum.“