Ausbildung ohne Berufung

Die Gewerkschafts-Jugend verurteilte Handels- und Handwerkskammer sowie PolitikerInnen zu mehr Lehrstellen-Engagement  ■ Von Judith Weber

Die Geschworenen befangen, die Verteidigung ausgepfiffen und das Urteil vorgeschrieben: Richter Peter Klenter strahlte unter seiner Baskenmütze. „Schuldig!“polterte der Rechtsschutzsekretär beim Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB). Verurteilt sei Hamburgs Handelskammer wegen Ausbildungsverhinderung. Und die Handwerkskammer. Und die PolitikerInnen. Grob fahrlässig hätten sie gemeinsam oder gegeneinander Lehrstellen zerspart und „die Lebensperspektiven Jugendlicher zerstört“.

1500 SchulabgängerInnen suchen derzeit in Hamburg eine Lehrstelle, schätzt das Arbeitsamt. 7000 sind's, rechnet Peter Klenters Auftraggeberin, die Hamburger Gewerkschaftsjugend – inklusive all jener, die ein Wartejahr in Schulen überbrücken. Deshalb zerrte sie gestern nachmittag beide Kammerchefs vor ein „jüngstes Gericht“. Vor der Tür der Handelskammer tummelten sich etwa 200 GewerkschaftlerInnen. Reckten Transparente, beklatschten den Richterspruch und pfiffen, wenn die Beklagten das Widerwort ergriffen.

„Wir beantragen, das Verfahren wegen erwiesener Unschuld einzustellen“, donnerte Jürgen Hogeforster von der Handwerkskammer den 400 herabgezogenen Mundwinkeln entgegen. Artig war er aufs Gerichts-Podium geklettert, kaum daß der Hauptgeschäftsführer der Handelskammer, Hans-Jörg Schmidt-Trenz, heruntergestiefelt war. Zwei lächelnde Männer waren sich einig: Nicht die Kammern, sondern die Gewerkschaften gehören auf die Anklagebank. Schließlich seien die aus dem „Bündnis für Ausbildung“geflohen, in dem sich Stadt und Betriebe seit dem Frühjahr für neue Lehrstellen abrackern. „Die Gewerkschaften sollen selbst endlich leisten, was sie von anderen erwarten“, sagte Schmidt-Trenz.

Die „Lehrstellen-Panikmache“sei zudem unangebracht. Am Handelskammer-Haus baumelte ein Transparent, auf dem die Kurve der neuen Ausbildungsplätze gen Himmel strebt. Sechs Prozent mehr Azubis habe man bereits, erklärte Hauptgeschäftsführer Schmidt-Trenz. Jetzt müsse „der B-Zubi her“– eine Art Berufspraktikant, der ein Jahr im Betrieb arbeitet, bevor er eine Ausbildung anfängt.

Bei Richter Peter Klenter fand dieser Vorschlag wenig Beifall. Er wollte lieber, was sein Zeuge Andreas Bachmann, arbeitsmarktpolitischer Sprecher der GAL, vorschlug: Ausbildungsverbünde für kleine Firmen, und eine Umlagefinanzierung für Betriebe die nicht ausbilden. „Man sollte die Firmen zur Kasse bitten, die sich dem gesellschaftlichen Auftrag der Ausbildung verweigern“, sagte Petra Heese von der DGB-Jugend.

Da half auch der Pflichtverteidiger nichts, den die Gewerkschaft ihren Angeklagten „wegen ihrer Finanznot“gespendet hatte. „Man muß auch an den Wirtschaftsstandort denken“, lamentierte er, bevor Richter Klenter das bereits fertig getippte Urteil vorlas. „Die Angeklagten müssen nicht-ausbildende Betriebe zur Finanzierung der Ausbildung heranziehen, Ausbildungsverbünde fördern und öffentlich finanzierte Ausbildungsplätze erhalten und vermehren.“Frauen und AusländerInnen dürften nicht länger benachteiligt werden. Und „gegen dieses Urteil ist eine Berufung nicht zulässig.“