Strauße auf geheimer Mission

■ Krause und Krause als Sherlock Holmes und Watson: Provokantes Straßentheater auf Oldenburger Pflaster mit zwei Straußendamen, die zusätzlich Rätsel aufgeben

Oldenburger Innenstadt am Samstag nachmittag. Die Sonne bescheint das Leffers-Eck, wo sich einige Passanten versammeln, um den ehrwürdigen Sir Sherlock Holmes und seinen Assistenten Watson zu erwarten. Vom Lappan aus schiebt sich ein kleiner Tumult nach vorne, Hunde bellen, einige Menschen hasten erschreckt vorwärts. Andere bleiben belustigt stehen, denn die Briten reiten auf ausgewachsenen Straußenvögeln ihrer geheimen Mission nach.

Holmes und Watson, das sind die Brüder Peter und Kalle Krause vom „A und P-Theater“(Mülheim/Oldenburg), das seit mittlerweile fünfzehn Jahren versucht, die eher in Frankreich angesiedelte Tradition des provokanten Straßentheaters auch auf deutschen Pflastern seßhaft zu machen. Und zwar meist als Geschenk potenter Veranstalter an ein Laufpublikum: Der kreisende Hut fehlt. Das gibt den Performances eine unwirkliche Realität, wenn etwa ein berittener Straußenvogel aus offenbar professioneller Neugier im Cafe seinen Schnabel in die Sahne tunkt, oder stur auf einer Fahrbahn verharrend den Busfahrplan blockiert, weil es hier interessante Spuren zu entdecken gibt.

Dabei handelt es sich dann meist um Sophie – Watsons Reittier – der Tochter von Straußendame Melisande, die Sir Holmes gut im Zaum hält. Und Sophie ist es, die mich heute zum Opfer meiner professionellen Neugier werden läßt. Denn eigentlich stehe ich hier mit dem Mikrophon, um ein paar O-Töne für eine Hörfunkreportage einzufangen. Gerade noch tanzt das offenbar schwer pubertierende Straußenmädchen mit seiner Mama einen Wiener Walzer – gelernte Wiener Hofreitschule – da stürmt dieses Urviech auf mich zu.

Watson bittet mich, einen eigens mitgebrachten Plaid auszubreiten und mich mit meinen ganzen 1, 64 Metern Länge darauf auszustrecken: Die drei Meter messende Dame will jetzt unbedingt üben, über liegende Menschen zu steigen, ohne sie zu verletzen. Archaische Ängste wallen in mir auf. Ich ahne, daß ich bei einem Fehltritt dieser ausgewachsenen birkenstammsdicken Beine zwar eine prima Aufnahme für das Radio habe – nämlich einen letzten Hauch – ihn aber wohl nicht mehr verwerten kann.

„Don't move“, herrscht Watson mich an, und meine professionelle Neugier gewinnt die Oberhand, als sich Sophies Beine über mir spreizen. Tatsächlich, es ist ein Weibchen. Aber die sich mir darbietende Öffnung enthüllt ein zweigeschlechtliches Geheimnis: Ich blicke auf einen behosten Männerunterleib. So ist das also: Die sichtbaren Beine der Reiter gehören eigentlich zum Vogel. Der wiederum ist eine täuschend echte Kunstkopie der Wüstenrenner, und darin stapfen Kalle und Peter Krause auf Stelzen. Fake. Kalle Krause versteht sich darauf, Objekte mit Eigenleben zu entwickeln. Diese „ernstgenommene Naivität“(O-Ton Kalle) zeigte er bereits als Bühnenbildner für „Terra Felicita“, einer Produktion der Oldenburger „Kulturetage“. Doch das waren puffende Maschinchen. Hier aber gehen Strauß und Reiter so etwas wie eine symbiotische Schizophrenie ein.

Zwei Jahre hat es die Krauses gekostet, den Prototyp „Strauß“zu entwickeln, und es brauchte hartes Körpertraining mit dem Choreographen Ian Douglas, bis die siebzig Kilo schweren Vögel laufen lernten – unter hartem Einsatz des Beckens und der Zügel. Watson und Holmes merkt man von alledem nichts an: sie bleiben britisch distingiert.

Krause und Krause sprechen amüsiert von ihren Vogelfrauen, von Hotelnächten und von der professionellen Neugier der Zollbeamten, wenn ihre Straußen im Luftverkehr das Fliegen lernen: „Leben die?“. Marijke Gerwin