Aus der Haft ins Nichts

Die Betreuung von entlassenen Gefangenen ist gefährdet, weil die Finanzverwaltung den freien Trägern die Mittel kürzt  ■ Von Corinna Budras

Die gute Nachricht kam überraschend: Bankräuber Peter N. wird nach jahrelanger Haft auf freien Fuß gesetzt. Die Strafe ist abgesessen, die Freiheit ruft. Peter N. bekommt den Beutel mit seiner spärlichen Habe in die eine, das Entlassungsgeld in die andere Hand und darf die Haftanstalt verlassen. Doch wohin? Eine Wohnung hat er nicht mehr, an seine frühere Arbeitsstelle kann er sich schon gar nicht mehr erinnern, und die Freunde haben sich vor Jahren aus dem Staub gemacht. Der direkteste Weg ist die Kneipe gegenüber mit dem verlockenden Namen „Goldene Freiheit“. Schnell ist das Geld versoffen, die Gelegenheit für dumme Gedanken gekommen.

So schildert André S. die bittere Zukunft für einen Großteil der Inhaftierten, die durch die geplanten Sparmaßnahmen der Finanzverwaltung nicht mehr von Haftbetreuern auf die Zeit „danach“ vorbereitet werden können. Er selbst war ein halbes Jahr im Knast und konnte dann mit Unterstützung von Silke Somarriba von der Freien Hilfe e.V. die letzten zwei Monate in gemeinnützige Arbeit umwandeln. Ohne sie „hätte ich nie etwas von dieser Möglichkeit gehört“, erklärt er. Wenn die Streichungen im geplanten Haushaltsetat Anfang Januar 1998 Wirklichkeit werden, erfahren viele Inhaftierte nichts von den Möglichkeiten, die ihnen eigentlich offenstünden.

Rund fünf Millionen Mark wird die Justizverwaltung 1998 einsparen müssen. 220 Stellen fallen diesen Kürzungen zum Opfer, außerdem werden alle ambulanten, nichtstaatlichen Maßnahmen im Justizbereich komplett gestrichen. Betroffen davon sind die drei freien Träger Freie Hilfe Berlin e.V., die Zentrale Beratungsstelle Straffälligenhilfe und die Hilfe für Opfer von Straftaten e.V. Corinna Bischoff, Sprecherin der Justizsenatorin, begründet diese Maßnahmen damit, daß sich die Justizverwaltung nun vollständig auf die Pflichtaufgaben beschränken muß, die ihr durch Verfassung und Gesetz auferlegt worden sind.

Konkret bedeutet dies für die Freie Hilfe Berlin den Verlust von drei Stellen. Ab Januar 1998 wird es also voraussichtlich keine Beratung von Drogenabhängigen und Inhaftierten von nichtstaatlicher Seite mehr geben. Auch die Stelle von Katrin Jost ist in Gefahr. Sie betreut das Vollzugshelferprojekt der Freien Hilfe, in dem 150 ehrenamtliche Mitarbeiter beschäftigt sind.

Frauke W. ist ehrenamtliche Vollzugshelferin und besucht alle zwei Wochen für zwei Stunden einen Inhaftierten. Für den 28jährigen ist Frauke gleichzeitig Vertrauensperson und „Brücke nach draußen“, wie die Chefin der Freien Hilfe, Wera Barth, formuliert. Ihr kann er sich anvertrauen, wenn er etwas angestellt hat. Ein derartiges Vertrauensverhältnis können die Sozialarbeiter im Knast gar nicht aufbauen, meint Jost. „Die müssen Drogenrückfälle oder ähnliche Sachen immer aktenkundig machen“, erklärt sie. Durch eine Beichte könne deswegen der ganze Vollzugsplan gefährdet werden. Ehrenamtlichen Mitarbeitern hingegegen kann man auch von Ausrutschern berichten. Auch der Leiter der Justizvollzugsanstalt Tegel, Klaus Lange-Lehngut, hält den Besuch von ehrenamtlichen Haftbetreuern für hilfreich: „Dadurch können Wertvorstellungen vermittelt werden, die ausgesprochen wichtig sind.“

Durch die Streichungen der Justizverwaltung kommt dieses Projekt jedoch ins Wanken. Die Betreuung der ehrenamtlichen Mitarbeiter sei ohne eine hauptberufliche Leiterin nicht mehr gewährleistet, und die Laien brauchten schließlich auch einen Platz, um sich auszutauschen und fachliche Informationen zu erhalten.

So muß die Beratungsstelle „Hilfe für Opfer von Straftaten“ bald gänzlich ihre Pforten schließen. Mitarbeiterin Renate Kirchner erklärt, daß der jährliche Zuschuß von 129.000 Mark ab 1998 völlig wegfallen solle. Damit steht die einzige Beratungsstelle in Berlin vor dem Aus, die sich um die Opfer aller Straftaten kümmert.

Auch die Zentrale Beratungsstelle für Straffälligenhilfe (ZB) schlägt Alarm. Ihr Projekt „Arbeit statt Strafe“ steht auf der Abschußliste, obwohl der finanzielle Nutzen für das Land Berlin größer ist als die anfallenden Kosten. Auch von staatlicher Seite wird durch die Gerichts- und Bewährungshilfe eine Vermittlung von gemeinnütziger Arbeit durchgeführt. Allerdings hat sie dort eher den Stellenwert einer Tätigkeit unter „einer Vielzahl von anderen“, räumt Kurt Bung, Abteilungsleiter und zuständig für die Sozialen Dienste der Justiz, ein.

Demgegenüber würde bei der Zentralen Beratungsstelle jedes Jahr an rund 700 Straffällige, die zu einer Geldstrafe verurteilt wurden und diese nicht zahlen könnten, gemeinnützige Arbeit vermittelt, so Klaus Nolden, Mitarbeiter von ZB. Anderenfalls müßten diese Leute die nichtbezahlte Geldstrafe im Gefängnis absitzen. Das Projekt „Arbeit statt Strafe“ würde dem Land Berlin nicht nur die Haftkosten ersparen, die sich pro Person und Tag auf ungefähr 200 Mark beliefen, so Klaus Nolden.

Laut ZB wären bei Nichtvermittlung schon im ersten Halbjahr 1998 Kosten in Höhe von rund 4,5 Millionen Mark durch überflüssige Haftstrafen entstanden. Dem stünden Personalkosten in Höhe von 36.561 Mark entgegen. Selbst wenn man eine Abbrecherquote von 20 Prozent ansetzt, zeigt sich der wirtschaftliche Nutzen der Gefangenenvermittlung ganz eindeutig.

Nicht zu vernachlässigen ist dabei auch die soziale Komponente der Arbeit. André S. und Tim K. arbeiten seit Ende Juli gemeinnützig für das Wohnprojekt der Freien Hilfe. Seitdem malern und tapezieren sie in dem Wohnprojekt, in dem auch André selbst untergebracht ist. „Dadurch bin ich den ganzen Tag beschäftigt und werde nicht tagtäglich mit der Nase auf meine Arbeitslosigkeit gestoßen“, erklärt Tim.