Alltagstauglichkeit steht hoch im Kurs

■ Bei der Intercycle in Köln präsentierten die Fahrradhersteller vor allem praktische Neuerungen

Köln (taz) – Die Fahrradindustrie träumt nach längerer Flachetappe von einem neuen Anstieg. Seit Jan Ullrich im Juli dieses Jahres die Tour de France gewonnen hat, ist er zum Heilsbringer einer ganzen Branche avanciert. Die Allgegenwart des jungen Telekom-Fahrers war auch auf der Intercycle in Köln vergangene Woche deutlich zu spüren. Die meisten der 846 Aussteller aus 36 Ländern hoffen im Windschatten des gelben Trikots auf kräftige Zuwächse.

Doch kann Ullrich der Fahrradbranche wirklich ähnliches bescheren wie seinerzeit Boris Becker der Tenniszunft? Zwar stieg die Nachfrage nach Rennrädern inzwischen rapide an, doch hatten sie an den 1996 verkauften Rädern (circa 4,5 Millionen) nur einen Anteil von einem Prozent. Und die meisten anderen Modellgruppen brauchen anderes als einen Tour-de France-Sieg zur Absatzsteigerung.

Zum Beispiel mehr Komfort und Sicherheit. So bieten immer mehr Hersteller vollgefederte Velos an. Bei den Mountainbikes schon fast Standard, sind die sogenannten Fullys auch bei Alltagsrädern groß im Kommen. Ab 1998 werden vollgefederte Trekkingräder ab etwa 1.400 Mark angeboten. Auch Gangschaltungen werden immer ausgefeilter. 18 bis 24 Gänge sind bei Kettenschaltungen schon üblich. Doch Marktführer Shimano setzt noch einen drauf: mit neun Kettenblättern am Hinterrad und dreien am Tretlager ergeben sich zumindest rechnerisch 27 Gänge.

Flott voran geht die Entwicklung bei den benutzerfreundlichereren Nabenschaltungen: Nachdem lange Zeit bei sechs oder sieben Gängen das Ende der Entwicklung erreicht schien, sorgte dieses Jahr die 12-Gang-Nabe von Sachs schon für Aufsehen. Nun kündigt der Kasseler Ingenieur Bernhard Rohloff „das Ende der Kettenschaltung“ an. Seine 14-Gang-Nabe ist in puncto Gesamtübersetzung und Gangabstufung einer 24er Kettenschaltung durchaus ebenbürtig. Das Gewicht hat Rohloff auf 1,7 Kilogramm reduziert. Kaum mehr als eine Kettenschaltung. Angesichts des stolzen Preises von 1.300 Mark wird sich der Alltagsradler aber überlegen, ob er dafür nicht gleich ein ganzes Velo kauft.

Für alle Radler erfreulich ist die Verbesserung der Bremssysteme. Auch gute Citybikes oder All Terrain Bikes kommen jetzt mit Hydraulikbremsen daher. Vorbei also die Zeiten, als Regen zu schlechterer Bremsleistung führte. Ebenso sinnvoll sind neue lichtstärkere Beleuchtungen, die auch im Stand und – der Umwelt zuliebe – ohne Akku und Batterien strahlen. Verbesserte Gepäckträger bieten Zuladungsmöglichkeiten auch für schwerere Lasten an, ohne daß sich das Fahrverhalten verschlechtert.

Höherer Sicherheit dient eine neue DIN-Norm. In einem Feldversuch wurden sogenannte „Lastkollektive“ entwickelt, die beim Radeln auf das Bike einwirken. Aus den Ergebnissen wurden neue Anforderungen definiert, denen Rahmen, Lenker und weitere Komponenten künftig genügen müssen.

Das Potential für einen neuen Aufschwung ist vorhanden. Aber neben den technischen Verbesserungen müssen jetzt auch die verkehrspolitischen Bedingungen für mehr freie Fahrt sorgen. Dann gewinnen Radler jeden Tag – und nicht nur einmal im Jahr. Florian Heckhausen