Keine Angst vorm Polizeistaat

■ Der grüne Gast-Wahlkämpfer Joschka Fischer im taz-Interview: Polizei auf die Straße, Ängste ernst nehmen, Drogenszene auflösen, Voscherau nach Bonn holen

taz: Na, Herr Fischer, sind Sie am Hauptbahnhof angekommen und durch die Drogenszene zum Taxi gelaufen?

Joschka Fischer: Ich kenne die Szene. Die hatten wir vor Rotgrün in Frankfurt auch. Durch Substitution, Fixerräume, Therapieplätze, Sozialarbeit und eine Auflösung der offenen Drogenszene sind die Verhältnisse in Frankfurt heute aber völlig anders. Bürgermeister Hen-ning Voscherau und seine seit 40 Jahren regierende SPD haben da offenbar ein Vollzugsproblem.

Ich frage mich, warum man auf einen vorurteilsbeladenen und die Rechten stärkenden Wahlkampf setzen muß, statt die Probleme praktisch anzugehen.

Die offene Drogenszene muß also nicht hingenommen werden?

Es nützt nichts, nur auf Repressionen zu setzen. In dem Augenblick, wo es vernünftige Angebote für die Süchtigen gibt, sind die Dealer ausschließlich ein Problem der Polizei.

Gibt es bei den Grünen Nachholbedarf in der Diskussion um die Innere Sicherheit?

Linke müssen wissen, daß ein Klima der Angst auch in unserer WählerInnenschaft vorhanden ist. Ich sehe nicht ein, warum ab 22 Uhr in S- und U-Bahnen der Ausnahmezustand für den weiblichen Teil der Bevölkerung ausbrechen sollte. Zumal wir Grüne massiv für einen Ausbau der öffentlichen Verkehrsmittel sind.

Mit welchen Konsequenzen?

In Frankfurt hat das bei uns zu zwei Erkenntnissen geführt: Ein Klima von Angst wird rechtsautoritäre Stimmungen in Politik umsetzen. Das kann niemand wollen, der für eine minderheitenfreundliche und liberale Gesellschaft steht. Zweitens: Der Rückzug des Staates aus dem öffentlichen Raum muß gebremst werden.

Und das ist ein Thema, das die Linken erst einmal in ihren Kopf reinlassen müssen, auch hier in Hamburg. Das Hauptproblem ist heute nicht die Gefahr eines Polizeistaates, sondern der Rückzug des Staates aus der Sicherheit, nach dem Motto: Haste Geld, kaufst du dir Sicherheit.

Voscherau findet die Justiz „zu lasch, zu lau, zu langsam“.

Ach was! Unser Justizsystem ist sehr erfolgreich. Die Wiederbelebung des Rachegedankens ist Ausdruck eines Krisenphänomens. Hier in Hamburg hat ja sogar ein Richter die historische Erfahrung der Justiz verdrängt und die Todesstrafe ins Gespräch gebracht. Ich bin alt genug, um mich noch an die 60er Jahre zu erinnern, als es immer hieß: Unter Hitler hat's des net gegebe.

Zwei Jahre bis zu einem Gerichtsprozeß sind Voscherau aber zu lang.

Das ist ein Hamburger Phänomen. Das hat nichts mit den Gesetzen, sondern deren Vollzug zu tun. Die Erfolge einer auf Resozialisierung setzenden Politik sind offensichtlich, wenn man sich ansieht, was der deutsche Weg und was der amerikanische produziert hat.

Ich hätte mir nicht träumen lassen, daß ich in den Räumen der taz hamburg einmal das Hohe Lied auf die deutsche Justiz singen würde. Wir müssen uns den Problemen auf demokratische und rechtsstaatliche Art zuwenden und nicht nach der Devise, hol den Knüppel raus.

Den Knüppel holt Voscherau auch beim Euro raus. Er befürwortet eine Volksabstimmung. Dagegen kann ein Grüner doch eigentlich nichts haben, oder?

Nein, aber dazu ist es zu spät. Die Messe ist gelesen, und das weiß er. Bei diesem merkwürdigen Bündnis gegen den Euro, von Gysi bis Gauweiler, kann man sich nur an den Kopf fassen. Der Euro wird kommen und die politische Einigung nach sich ziehen.

Die Akzeptanz des Euros in der Bevölkerung ist tatsächlich nicht überwältigend.

Aber Voscherau muß sich vorhalten lassen, daß er mit seinen untauglichen Vorschlägen das Gegenteil von Akzeptanz betreibt. Für mich ist das Teil Zwei eines populistischen Fischzugs in dem verzweifelten Versuch, einem rotgrünen Bündnis zu entgehen.

Warum kann Voscherau die GAL nicht leiden, schwärmt aber für die Bonner Grünen?

Rotgrün in Hamburg wäre nicht nur gut für diese Stadt, sondern würde auch Rotgrün in Bonn befördern. Und dort will er ja als Finanzminister hin, weil er sich zu Höhrem berufen fühlt. Mir ist er in Bonn willkommen, dazu muß er aber erstmal hier Rotgrün hinkriegen. Eins nach dem anderen.

Fragen: Silke Mertins

Foto: Henning Scholz