Die Beatles feiern im Off-Beat

Mit ein bißchen Hilfe von vier fabulösen Spielern aus Englands Premier League scheint für Jamaikas Fußballer die „Straße nach Frankreich“ zur WM frei  ■ Aus Kingston Martin Ling

Gemeinhin wird Jamaika mit Bob Marley und Reggae verbunden. Eine Brücke zu schlagen von Marley zum jamaikanischen Fußballnationalteam ist nicht schwer. In den Medien und im Volksmund werden die Spieler ob ihrer musikalischen Vorlieben schlicht Reggae Boys gerufen. Die Boys haben ein Ziel, und das ist ein Platz unter den ersten Drei in der WM-Qualifikation der Nordamerika/Mittelamerika/Karibik-Zone (Concacaf). Nach dem sonntäglichen 1:0 über Costa Rica steht man auf dem zweiten Tabellenplatz und hat nun beste Chancen, zum ersten Mal an einer WM teilzunehmen.

Daran hätte im Frühjahr noch niemand gedacht. Von einer „Skandaltruppe“ war da die Rede. Bekifft, so wurde in einem weltweit gedruckten Artikel eines bolivianischen Journalisten suggeriert, hätten die Boys ein Freundschaftsspiel in Bolivien zur Farce gemacht. „Wir sind keine Witzbolde“, insistierte der brasilianische Nationaltrainer Rene Simoes. Die Spieler allerdings waren demoralisiert. Kurz darauf fühlten sie sich bei einem Vorbereitungsspiel in Mexiko rassistisch provoziert, verließen das Spielfeld, kamen mit Knüppeln zurück und verdroschen ihre Gegenspieler. Bei so viel unrühmlicher Publicity mußte Simoes klarstellen: „Die Spieler sind Profis, also kiffen sie nicht. Für die Knüppelaktion müssen wir uns entschuldigen.“ Außerdem stehe Disziplin bei ihm ganz oben auf der Prioritätenliste. Das scheint sich auszuzahlen. In neun Qualifikationsheimspielen hat das Team noch kein Gegentor kassiert.

Wie eine Woche zuvor, beim 1:0 gegen Kanada, drängten sich im offiziell 35.000 Zuschauer fassenden Nationalstadion wohl an die 40.000. Die sorgten schon ab den frühen Morgenstunden für einen Ausnahmezustand in Town, wie Kingston mangels anderer Städte auf der Insel genannt wird.

Schon um neun Uhr morgens herrschte reges Treiben vor dem Stadion. Um die Mittagszeit war das Stadion gut zur Hälfte gefüllt, 90 Minuten davor gerammelt voll. Solch eine Party vor einem Spiel habe er noch nie gesehen, meinte ein weitgereister amerikanischer Pressefotograf. Er hatte recht. Drei Stunden lang dröhnte Reggaemusik im Off-Beat aus den unzähligen auf der Tartanbahn aufgestellten Riesenboxen.

Dagegen konnte die Stimmung in der ersten Hälfte nicht mithalten. Auch weil das jamaikanische Publikum ein aus europäischer Sicht eher ungewöhnliches Verhalten an den Tag legt. Es gibt keine permanenten Fangesänge. Statt dessen herrscht, wenn der Gegner in Ballbesitz ist, angespannte Ruhe, die sich bei jeder vergebenen Chance und jedem jamaikanischen Ballgewinn in Begeisterung entlädt, die dann kaum noch gesteigert werden kann, wenn die Jamaikaner zu Torchancen kommen.

In der ersten Hälfte äußerst nervös und nur mit Glück einem Rückstand bei zwei gefährlichen Kopfbällen der „Ticos“ entgangen, drehten die Reggae Boys mit Beatles-Unterstützung in der zweiten Hälfte auf. Die „Beatles“, das sind die vier Profis im Team, die ihr Geld in der englischen Premier League verdienen: Paul (McCartney, selbstverständlich) Hall, Filzroy (Lennon) Simpson, Deon (Harrison) Burton und Robbie (Starr) Earle.

Beatles und Reggae Boys – ob das wohl paßt? Es paßt. Inzwischen verstehen sie sich so gut, als wenn sie in einem schwarz-gelb- grünen U-Boot zusammenleben würden, so die weitverbreitete Meinung. Dabei gab es nach Erreichen der Endrunde im Dezember 1996 heftige Diskussionen, ob die Reggae Boys mit Spielern aus Übersee verstärkt werden sollten. Nein, meinte die Mehrheit. Dies würde eine Zurücksetzung der Inselspieler bedeuten, die mit dem Erreichen der Endrunde schon den größten Erfolg in der Fußballhistorie des Landes bewerkstelligt hatten. Der Verband schloß sich dieser Position an, so daß die ersten fünf Spiele nur mit einheimischen Spielern, zwei Toren und fünf Punkten bestritten wurden.

Erst als die WM verpaßt schien, wurden neun „Engländer“ getestet, vier für gut befunden. Seither hat man zweimal gewonnen. Beide Tore schoß Deon Burton von Derby County. Er verdrängte den talentierten, aber als undiszipliniert geltenden einheimischen Stürmerstar Walter Boyd aus der Stammformation. Boyds Zurücksetzung, schließlich seine Verbannung aus dem Kader vor Beginn der Rückrunde war anfangs heißes Thema in der Bevölkerung. Jetzt sind alle begeistert von den disziplinierten Beatles, die den Sturm (Burton, Hall) und das Regiepult (Simpson) übernommen haben. Das von der Privatwirtschaft, insbesondere der Bauindustrie initiierte Förderprogramm „Road to France“ scheint mit der Hilfe aus England doch noch von Erfolg gekrönt zu werden. Drei Punkte aus den Spielen in den USA und El Salvador und zu Hause gegen Mexiko müßten genügen.