■ Schlagloch
: Amnestie für Krenz aus der Walhalla Von Klaus Kreimeier

„Ritterlichkeit, auch gegenüber einem moralisch unterlegenen Gegner, ist keine unwürdige Antwort auf geschichtliche Umwälzungen“ Peter Gauweiler

(CSU) im „Spiegel“, für

Gnade im Umgang mit

Egon Krenz plädierend

Es ist schon schwer genug, mit der Tatsache fertigzuwerden, daß die Deutschen in diesem Jahrhundert zwei Diktaturen zuwege gebracht haben. Nun muß auch noch ein Peter Gauweiler über uns kommen, der sich nicht scheut, mit Stefan Zweigs „Sternstunden der Menschheit“ und Goethens „FaustI“ im Tornister für Egon Krenz ins Feld zu ziehen. Mauertote hin, Mauertote her – „man wagt ja kaum mehr daran zu erinnern, was Großzügigkeit gegenüber Besiegten erreichen kann“.

Daß dem deutschnationalen Haudegen Gauweiler Kategorien wie „Sieger“ und „Besiegte“ aufs innigste vertraut sind und er selbst, ein Musterschüler seines Lehrmeisters Franz Josef Strauß, sich auf dem Siegerpodest des Kalten Krieges breitgemacht hat, paßt ohne weiteres ins Bild. Verwirrend ist allerdings, daß dieser Rechtsausleger und Zeremonienmeister bayerischer Bierzeltseligkeit keine Bedenken trägt, in puncto „Siegerjustiz“ mit den betroffenen Wölfen zu heulen und ihnen nachträglich einen Schafspelz überzuziehen. Nicht nur das: als selbsternannter Tacitus und Leopold von Ranke der deutschen Wende in einer Person schwingt sich Gauweiler mit römischem Cäsarengestus zu seherischer Prosa auf: „Wenn die Geschichtsschreibung späterer Generationen über Männer wie Günter Schabowski ihr Urteil fällt, wird sie den Daumen schließlich nach oben halten.“ Ich vermute mal, daß selbst Schabowski – oder vielmehr: gerade er – bei diesem Satz Magenkrämpfe oder zumindest Daumenstarre kriegt.

Soviel ist klar: Gauweiler, dies mag sein persönliches Unglück sein, schluckt an den Sternstunden der Menschheit und kriegt einfach diesen Frosch nicht runter. Schließlich war er es, der erst vor kurzem in München anläßlich der Eröffnung der Ausstellung über die Verbrechen der deutschen Wehrmacht an der Spitze von NPD-Schlägern gegen die „Verunglimpfung des deutschen Soldaten“ wetterte und Jan Philipp Reemtsma empfahl, lieber eine Ausstellung über die Opfer seines Tabakkonzerns zu veranstalten. Wenn seither rechtsradikale Skinheads, wie am letzten Wochenende in Marburg, Ausstellungsbesucher verprügeln, kann sich Gauweiler bescheinigen, daß seine Auffassungen über Ritterlichkeit, Moral und Siegerjustiz ihre Früchte tragen.

Seine „Großzügigkeit gegenüber Besiegten“ kennt konsequenterweise keine Parteien mehr; zumindest in diesem Punkt kann man ihm nicht nachsagen, daß er nur auf einem Auge blind sei. Ob es um die von der Wehrmacht ermordeten Partisanen oder um die an der Mauer erschossenen Republikflüchtlinge geht – sei's drum, sagt Gauweiler, „auch bei der Wertung des historisch Mißratenen gibt es Größe und Tragik“. Die Mörder auf der einen wie auf der anderen Seite „waren Geschöpfe jenes Bürgerkriegs, an dem im Europa des 20. Jahrhunderts vier Generationen verlorengegangen sind“.

Hier spricht der gauweilermäßig gestrickte Weltgeist von den Höhen der Regensburger Walhalla herab zum betäubten Volk. Aus so wolkiger Sicht sind letztlich alle Kriege Bürgerkriege, in denen die Menschen tragischerweise „verlorengehen“. Der Fall ist nicht zuletzt darum interessant, weil sich teutonisch dröhnender Idealismus hier ausnahmweise nicht aggressiv gebärdet, sondern die Maske der Friedfertigkeit, der salomonischen Weisheit, der Großzügigkeit gegenüber den Frontverläufen in der Geschichte und der Bereitschaft zur Amnestie überstreift.

Die Maske ist durchschaubar. In Gauweilers Haßtiraden gegen Reemtsma wie in seiner Fürbitte für Egon Krenz ist ein altes Feindbild virulent: das Projekt einer zivilen Gesellschaft, die ihre Geschichte reflektiert und ihre demokratischen Errungenschaften verteidigt; die – wie unzulänglich auch immer – Recht zu setzen sucht und sich schon aus diesem Grunde keine Ungenauigkeiten leisten kann. All das mag Gauweiler nicht. Schwamm drüber, das ist seine Devise – egal, ob von Heydrich oder Honecker die Rede ist. Nur sagt er es natürlich mit Goethe. „Ist gerichtet!“ – so spricht Mephistopheles; das ist die Auskunft der Demokratie und ihrer bösen Justiz. „Ist gerettet“ – so spricht der Dichter und mit ihm der Münchner Bezirksvorsitzende der CSU.

Rechtsanwalt Gauweiler lebt sichtbar auf Kriegsfuß mit den „westdeutschen Justizhäuptlingen“, wie er die Spitzen des Bundesverfassungsgerichts, der Generalbundesanwaltschaft und des Justizministeriums tituliert. Haben diese Herren, so der mit allen Wassern gewaschene Populist, beim Bonner Staatsbankett für Honecker im September 1987 nicht Beifall geklatscht und auf das Wohl des Staatsratsvorsitzenden angestoßen? Und haben andererseits ihre Vorgänger nach 1945 in den westdeutschen Besatzungszonen, als es NS-Täter zu verfolgen galt, nicht „Verbot, Registrierung, Sühnefolgen für mehrere Millionen Menschen“ verhängt?

Nun kann man den westdeutschen Richtern sicher vieles vorwerfen – doch daß sie mit beinharter Gnadenlosigkeit die Verbrecher des Nazi-Regimes und ihre Familien ans Messer geliefert hätten ist nicht bekannt geworden. Gauweiler aber entwirft das Bild einer westdeutschen Justiz, die nach dem Krieg vor den Amerikanern und später vor der Ostpolitik zu Kreuze gekrochen ist – und er benötigt dieses Bild, um das Mittel der Rechtsprechung in Fällen politisch motivierten Unrechts insgesamt zu diskreditieren. „Mit dem Gesetzbuch allein wird man dem Geschehen nicht gerecht werden können“ – diesem Satz wäre zuzustimmen, käme er in diesem Fall nicht aus der Feder eines kleinen, doch in seinem Umfeld keineswegs wirkungslosen Demagogen, der, wenn es darauf ankommt, einen vollen Saal zu bajuwarisch- deutschtümelnder Raserei und das Geschehen mit alles andere als demokratischen Mitteln auf Trab zu bringen imstande ist.

Krenz immerhin kann sich nun überlegen, ob er nicht, da er schon Deutschland nicht verlassen will, im Freistaat Bayern um politisches Asyl nachsuchen sollte. Zumindest in Sachen „Siegerjustiz“ bahnt sich zwischen den Nachfolgern der SED und der Münchner CSU eine mögliche Koalition an, die unserer reichlich öden Parteienlandschaft eine neue Variante hinzufügen und Gysis Partei die unerwartete Möglichkeit eröffnen könnte, im katholischen Süden der Republik eine zweite Front zu errichten. „Will man leugnen, daß es im November 1989 in der SED-Spitze Vernunft gab?“ fragt Peter Gauweiler. Wohl niemand wird dies leugnen. Doch wenn die „wichtigen Männer“ dieses maroden, entnervten, von seinem Volk verlassenen, allein vom Gedanken der Machterhaltung besessenen Regimes in der „Weltstunde des 9. November“ als „Patrioten“ gehandelt haben, wie Gauweiler verkündet – dann läßt dies nur betrübliche Rückschlüsse auf den Zustand des patriotischen Gedankens hierzulande zu. Mit Krenz und Gauweiler haben zwei seiner Bannerträger nun zusammengefunden.