Bettler raus, fließender Verkehr rein

■ Große Koalition in Frankurt am Main gestern festgeklopft. „Feste Zusammenarbeit“ und Doppelhaushalt vereinbart

Frankfurt/Main (taz) – Bis um zwei Uhr morgens dauerte die Sitzung, in der Montag nacht die große Koalition zwischen SPD und CDU in Frankfurt festgeklopft wurde. Sie soll bis zum Jahr 2001 dauern und die seit den Kommunalwahlen im März herrschende Pattsituation im Rathaus Römer beenden. Zum Beginn des neuen „Frankfurter Friedens“, vorerst verschämt „feste Zusammenarbeit“ genannt, übten sich beide Fraktionen gestern im Krötenschlucken. Der 1995 direkt gewählten CDU-Oberbürgermeisterin Petra Roth wird fürderhin der SPDler Joachim Vandreike auf dem bisher vakanten Posten als Bürgermeister zur Seite gestellt.

Die bisher auch untereinander zerstrittenen Sozialdemokraten gelobten im Gegenzug Wohlverhalten. Sie wollen die Christdemokraten im Stadtparlament nicht mehr zusammen mit ihrem ehemaligen Koalitionspartner, den Grünen, überstimmen. Außerdem wurde ein gemeinsamer Doppelhaushalt für 1998/99 beschlossen. Beide Parteien behalten ihre jeweils vier Magistratsposten.

Die Zuständigkeiten sollen allerdings neu verteilt werden. Die CDU, mit 36,3 Prozent stärkste Fraktion, darf auf ein fünftes Dezernat spekulieren. Das könnte das des grünen Umweltdezernenten Tom Koenigs sein, falls der 1998 für den Bundestag kandiert. Den Grünen bliebe dann nur noch das Schuldezernat. Verliererin könnte auch die SPD-Kulturdezernentin Linda Reisch sein, die selbst in den eigenen Reihen nicht wohlgelitten ist. Sie soll ihre von Oberbürgermeisterin Roth drastisch beschnittenen Kompetenzen nicht zurückerhalten.

Die SPD klopfte damit die neue Gangart in der Mainmetropole fest und stimmte dem Bau neuer Hochhäuser und der „Gefahrenabwehrverordnung“ zu, die Bettler und Trinker aus der Innenstadt vertreiben soll. Im Gegenzug stimmte die CDU Hilfsprogrammen für Obdachlose zu und verzichtete auf die geplante Schließung von neun Bürgerhäusern. Das gemeinsame, bislang erst elfseitige Papier beinhaltet auch den CDU-Wunsch nach „fließendem Individualverkehr“ und den der SPD nach „sozialen Projekten“. Über deren Finanzierung aus der maroden Stadtkasse sagten beide Parteien gestern gar nichts.

CDU-intern hat der derzeitige Wirtschaftsdezernent und Stadtkämmerer Albrecht Glaser bereits Bedenken angemeldet. Damit ist neuer Streit in beiden Parteien vorprogrammiert. Die Pattsituation war entstanden, nachdem die rot- grüne Koalition im Frühjahr 1995 endgültig geplatzt war. Zweimal hatten sich sozialdemokratische Parlamentarier nicht an die Parteiräson gehalten und grüne Magistratskandidaten durchfallen lassen. Die FrankfurterInnen entschieden sich 1995 bei einer Direktwahl gegen Oberbürgermeister Andreas von Schoeler und wählten seine Gegenkandidatin Petra Roth. Bei der Kommunalwahl im März dieses Jahres erreichte die CDU 36,6 Prozent, die SPD sackte auf 29,1, und die Grünen stiegen auf 16,9 Prozent. Außerdem zogen die „Republikaner“ mit 6,2 Prozent wieder ein, und die FDP kam seit 16 Jahren zum erstenmal wieder knapp über die Fünfprozenthürde. Heide Platen