„Einfach vögeln oder umbringen müssen“

■ „Planet Lulu“, die neuste Performance von Remote Control auf Kampnagel

Die schwedische Gruppe Remote Control macht seit 1981 spannendes Theater zwischen Bühnenfiktion und Darstellerrealität. Mit Tänzern, Sängern und Schauspielern, Musik von Bronski-Beat-Mitglied Larry Steinbachek und einem Bühnenbild der Performancekünstlerin Marina Abramovic eröffnet Michael Laubs Gruppe jetzt mit Planet Lulu die Saison auf Kampnagel: Wedekinds Drama der verführerischen Kindfrau als „zeitgenössisches Musical“.

taz: Was ist denn ein „zeitgenössisches Musical“?

Michael Laub: Ich hatte immer eine Faszination für „Low-Art“: frühes amerikanisches Untergrundkino, Pop-Art, Trash-Literatur. Irgendwann in den 70ern haben plötzlich alle Opern gemacht. Das wollte ich auch, aber ich habe überlegt, was die trashige Form einer Oper ist: ein Musical.

Warum haben Sie für „Planet Lulu“das erste Mal mit einem Dramentext gearbeit?

Eigentlich langweilt mich traditionelles Theaters so, daß ich heulen könnte. Aber vor Jahren sagte ein norwegischer Professor zu mir, ich sei so dekadent, ich müßte Lulu machen. Das ging damals nicht – wegen Louise Brooks, die im Film von G.W. Papst schon die perfekte Lulu spielt. Von der bin ich besessen, seit ich 14 bin.

Darum haben Sie jetzt fünf Louise-Brooks-Klone auf der Bühne?

Bunuel hat schon mit zwei Schauspielerinnen für eine Figur gearbeitet, also brauchte ich mehr.

Woraus setzen sich Ihre vielen Lulus denn zusammen?

Wer sich mit einer intellektuellen Analyse ihres Charakters beschäftigt und vergißt, daß man sie einfach vögeln oder umbringen oder mit ihr leben muß, der hat wirklich gar nichts kapiert. Was ich an Lulu besonders liebe, ist, daß sie dauernd alles erfindet. Solche Frauen mag ich, obwohl die meistens dran glauben müssen.

Ihre Schauspieler sind abwechselnd privat, Figur und Erzähler.

Es ist immer viel von ihrem eigenen Charakter auf der Bühne, deswegen sind sie nie austauschbar. Aber diesmal springen sie auch mal für ein paar Minuten in eine Figur aus dem Stück. Ich verwandle gerne triviale Pseudorealität in Fiktion, und wenn ich beides auf der Bühne mische, wird es ununterscheidbar. So verwandelt sich Dramatik in Banalität.

Spiegelt sich da Ihr Mißtrauen gegen die traditionelle theatrale Erzählform?

Das Theater ist doch eine ziemlich zurückgebliebene Kunstform, das läßt sich sehr gut an der Entwicklung der Sex- und Gewaltdarstellung im Vergleich zu anderen Künsten erkennen. Also mal ehrlich, wann haben Sie denn das letzte Mal auf einer Bühne etwas gesehen, das sexy war? Im Kino habe ich das erst letzte Woche erlebt.

Fragen: Matthias von Hartz

heute bis So, 20 Uhr, k6