■ Bedürfnis nach Privatheit im öffentlichen Raum
: Eigenzeiten und Eigenräume

Zeiten und Räume, die Grundfesten der Mobilitäts- und Verkehrsforschung sind dem historischen Wandel unterzogen. Biographien müssen heute eigensinniger gelebt werden, weil die alten Standards nicht mehr gelten. Zeitabläufe werden zunehmend asynchron. In Deutschland sind nur noch 17 Prozent der Beschäftigten an feste Arbeitszeitregelungen gebunden. Die große Mehrheit hat Gleit-, Teil-, Schicht- oder gar keine Beschäftigungszeiten mehr. Die sogenannte Normalarbeitszeit hat längst aufgehört, normal zu sein.

Analoges kann man auch für den Raum feststellen. Der Bedarf an eigenkontrollierten Räumen wird größer und macht sich im Raumkonsum bemerkbar. Pro Kopf gerechnet, stieg die bundesdeutsche Wohnfläche allein von 1984 bis 1994 von 36,2 auf 41,2 Quadratmeter. Befragungen zeigen, daß auch im Verkehr ein starkes Bedürfnis nach Privatheit in geschützten und eigenkontrollierten Räumen oberste Priorität bei der Verkehrsmittelwahl genießt. Die Popularität des Automobils gründet nicht zuletzt hierauf. Solche „Eigenzeiten“ sind auch Urlaubszeiten, „Eigenräume“ sind auch Ferienwohnungen. Ob und wann man reif für die Insel ist, entscheidet man zunehmend allein.

Wie hoch der Anteil des Freizeit- und Urlaubsverkehrs an den gesamten Verkehrsleistungen wirklich ist, kann wegen unscharfer Kriterien nur geschätzt werden. Sicherlich liegt man richtig, wenn man von 30 bis 50 Prozent ausgeht. Ziemlich sicher weiß man hingegen, daß der Anteil der Verkehrsmittel des Umweltverbundes (Schiene, Fahrrad, Füße) dabei kaum zum Zuge kommen und noch nicht einmal einen Anteil von 15 Prozent der Verkehrsleistungen erreichen.

Zeit- und Raumsouveränität, Bestandteil fortschrittlicher Gesellschaftspolitik, entwickeln damit nicht nur eine verkehrstreibende Dynamik, sondern sie präjudizieren eine wenig umweltfreundliche Verkehrsmittelwahl. W.C./A.K.