Waigel will über Euro allein entscheiden

Bundesrat und Bundestag müssen der Einführung des Euro noch zustimmen. Soviel steht fest. Unklar ist, ob sich die Regierung daran halten muß. Laut Finanzministerium ist das nicht der Fall  ■ Von Ulrike Fokken

Berlin (taz) – Manche Wahrheiten brauchen länger, bis sie sich durchsetzen. Oder der Vergessenheit entrissen werden. In der Sommerpause haben sich die Euro- Skeptiker daher die Zeit damit vertrieben, die in Vergessenheit geratenen Kriterien für die politische Zustimmung zur europäischen Einheitswährung wieder herauszukramen. Sie besorgten sich die Entschlüsse des Bundestages und Bundesrates und das Urteil des Bundesverfassungsgerichts und arbeiteten sie durch. Und siehe da, die Ministerpräsidenten Biedenkopf, Stoiber, Schröder und Voscherau fanden heraus, der Euro ist politisch noch zu stoppen.

Der Bundesrat, dem alle vier angehören, muß der Einführung des Euro zum 1.1.1999 im Frühjahr 1998 noch zustimmen. Am 18. Dezember 1992 hatte die Länderkammer den Maastricht-Vertrag zwar ratifiziert. In der Entschließung hatten sich die Länder allerdings ein Votum laut Artikel 109j des EG-Vertrags ausgebeten. Der Bundesrat werde sich in seinem Votum „auf dieselbe Materie wie die Bewertung des Rates der Wirtschafts- und Finanzminister und die Entscheidung des Rates [...] der Staats- und Regierungschefs“ beziehen. Fast wortgleich hatte sich bereits am 2. Dezember 1992 der Bundestag geäußert. Beide forderten die Bundesregierung zudem auf, ihre Entschließungen der EU- Kommission und dem EU-Parlament mitzuteilen und zu sagen, ob die Regierung die Entschlüsse annimmt und sich den Voten somit beugt. Beiden Forderungen ist Theo Waigel als Regierungsvertreter 1993 nachgekommen.

Das war vorschnell. Denn mittlerweile scheint möglich, was damals undenkbar war: daß Bundestag und -rat den Euro ablehnen. Damit es soweit nicht kommt, versucht Waigel die Volksvertreter vorab einzuschüchtern. Ihren Voten sei „lediglich deklaratorische Bedeutung beizumessen“, befinden Juristen aus dem Hause Waigel in einem Rechtsgutachten für ihren Chef. Wie der Stern in seiner heutigen Ausgabe schreibt, könnten laut Gutachten „Bundesrat und Verfassungsgericht den Euro- Zug kaum noch stoppen“. Vom Abstimmungsergebnis der Länderkammer könnte die Regierung „auf jeden Fall abweichen“.

Sachsens Ministerpräsident Biedenkopf ist während seiner Sommerlektüre zu einer gegenteiligen Auffassung gekommen. Die Entscheidungen von Bundestag und Bundesrat hätten „konstituierenden Charakter und keinen akklamativen“. Die Regierung sei an die Voten gebunden, da sie dem ja schließlich zugestimmt hätte. Biedenkopf meint sogar, daß Parlament und Kammer die Regierung noch dann zur Umkehr verpflichten könnten, wenn zwar Deutschland die Konvergenzkriterien erreicht, nicht aber die anderen aufgenommen Länder. Auch dann drohe der Euro, instabil zu werden.

„Selbst wenn die Entscheidungen nur deklaratorisch sind“, sagt der Jurist und Europa-Experte Christian Sterzing von Bündnis 90/Die Grünen, „ist eine gegenteilige Entscheidung der Bundesregierung undenkbar.“ Das wäre „der politische Kladderadatsch“. Nun rächt sich, daß die Regierung Kohl es nie für nötig befunden hat, sich inhaltlich mit dem Euro auseinanderzusetzen. Juristisch unklar ist, was passiert, wenn zwar der Bundestag den Euro-Kandidaten zustimmt, der Bundesrat aber nicht. Oder inwieweit die Bundesregierung staatsrechtlich an den Maastricht-Vertrag gebunden ist. „Das ist eine politisch nicht vorgesehene Situation“, sagt Sterzing.

In der niedersächsischen Staatskanzlei nahm man Waigels Gutachten gestern belustigt hin. Es sei klar, daß das Votum des Bundesrates „nicht bindend“ sei, sagte Staatsekretär Heye. Politisch bleiben die Voten dennoch brisant. Pragmatisch blieb Heide Simonis, Ministerpräsidentin von Schleswig-Holstein. Der Bundesrat habe der Währungsunion im Grunde schon 1992 zugestimmt. „Wir sollten deshalb nicht soviel Zeit mit der Kriteriendiskussion verschwenden, die sowieso niemand versteht“, sagte Simonis der taz.