Caramba Cucaracha: Eine Kakerlake auf Abwegen...

■ Der Marihuana-Anbau hat in Mexiko eine lange Tradition. Aber während die Narcos kräftig absahnen, verdienen die Campesinos an dem grünen Kraut nur wenig – und bleiben bitter arm

„Die Kakerlake, die Kakerlake kann nicht mehr laufen, ihr fehlt Marihuana zum Rauchen“, heißt es in „Cucaracha“, einem der bekanntesten Lieder der mexikanischen Revolution von 1910.

Der Marihuana-Anbau hat in Mexiko eine lange Tradition. Für die mexikanischen Campesinos stand und steht jedoch weniger der Genuß des Krauts im Vordergrund, sondern seine Funktion als Einkommensquelle. Kein Verbot, keine Strafandrohungen und keine noch so groß angelegten Kampagnen von Polizei und Militär zur Vernichtung der Hanfpflanzungen hatten in den vergangenen Jahrzehnten durchschlagenden Erfolg.

Auf den ersten Blick lesen sich die Meldungen der Drogenfahnder beeindruckend: Von Dezember 1994 bis Mitte August 1997 vernichteten sie über 500.000 Marihuana-Felder und beschlagnahmten 846 Tonnen der grünen Pflanze. 21.000 Soldaten sollen tagtäglich im Drogeneinsatz ein. Nützen tut dies wenig. Auf 80 Prozent der zerstörten Felder, so kürzlich ein Oberst gegenüber der Presse, wird sofort wieder angebaut.

Die nördlichen Bundesstaaten Jalisco, Sonora und Sinaloa sind besonders als Anbaugebiete bekannt. Aber auch in Michoacan, Guerrero, Oaxaca und Chiapas wird gesät und geernet. Fast ganz Mexiko eignet sich für den Marihuana-Anbau. In günstiger Lage sowie bei ausreichend Regen oder künstlicher Bewässerung können die Campesinos die Ware schon nach zwei Monaten an den örtlichen Drogenboß liefern. Unter Umständen kann es sich sogar lohnen, eine fünf Kilometer lange Wasserleitung zur versteckt gelegenen Hanfpflanzung zu legen, wie die mexikanische Wochenzeitschrift Proceso berichtet. Mit etwas Glück ist das nicht nötig, wie die Gruppe „Los Tucanes de Tijuana“ in einem ihrer vielen Lieder über die mexikanische Drogenszene singt: „Eine Quelle in den Bergen ist eine Mine, Señores, ich säe, ernte und verkaufe, niemals sind meine Blumen trocken, das ganze Jahr über ist Saison, kleine Quelle meiner Liebe.“

Für viele Campesinos ist der Anbau trotz der Risiken eine sehr erstrebenswerte Erwerbsquelle. Mit herkömmlichen Agrarprodukten könnten sie nicht so viel verdienen. In einigen Regionen leben bis zu einem Viertel der ländlichen Bevölkerung seit Generationen vom Drogengeschäft. Wenn die Felder an unzugänglichen Berghängen oder in Schluchten in der Regenzeit gepflegt und bewacht werden müssen, nimmt die Zahl der Dorfbewohner spürbar ab. Aber die Mehrheit der Bauern bleibt trotz des Marihuana-Anbaus bitter arm. Oft werden sie nur als Wächter angestellt oder stellen ihre Felder gegen eine relativ geringe Pacht zur Verfügung.

Den Schnitt macht auf jeden Fall der Narco. Während die mexikanischen Konsumenten mit etwa 2.000 Pesos (255 Dollar) für das Kilo und zwei bis vier Pesos für das Gramm noch ziemlich billig an ihren Marihuana-Genuß kommen, kann das Kilo guten Mexiko-Hanfs in den USA zwischen 4.000 und 8.000 Dollar einbringen. Die Gewinnspanne ist für die Drogenhändler groß genug, um bei Bestechungsgeldern und Transportkosten nicht sparen zu müssen. Ende August entdeckten die Drogenfahnder im Bundesstaat Michoacan mit 500 Hektar Fläche eine der größten zusammenhängenden Marihuana-Pflanzungen der letzten zehn Jahre. Die Narcos wird das nicht um den Schlaf gebracht haben... Gerold Schmidt, Mexiko-Stadt