Jiang setzt sich durch

■ Chinas KP-Parteitag endet mit dem Rücktritt seiner größten Widersacher

Peking (taz) – Wer hätte Chinas Nummer eins einen solchen Sieg zugetraut? Früher in Shanghai war Jiang Zemin ein unauffälliger Parteichef, der seinem Bürgermeister Zhu Rhongji die Arbeit überließ. Dann holte Deng Xiaoping den uncharismatischen Ingenieur nach Peking und machte ihn zum Nachfolger des in der Studentenrevolte 1989 verschlissenen KP-Generalsekretärs Zhao Ziyang. Noch Jahre später glaubte niemand an eine Ära Jiang. Zu unentschlossen, Armee und Volk entfremdet, wirkte der Sproß einer Intellektuellenfamilie an Chinas Spitze.

Doch nun ist der 71jährige in die Fußstapfen Mao Tse-tungs und Deng Xiaopings getreten. Nicht nur, daß Jiang den gestern beendeten 15. KP-Parteitag mit seiner Rede über die Eigentumsreform der Staatsbetriebe dominierte. Der Kongreß brachte für den Partei- und Staatschef auch die gewünschten personellen Änderungen: Bei der gestrigen Wahl des Zentralkomitees kandidierten die beiden wichtigsten Gegenspieler Jiangs nicht mehr und verloren damit automatisch ihre Politibürositze.

Der Vorsitzende des Volkskongresses, Qiao Shi (72), und der Vizevorsitzende der Militärkommission, Liu Huaqing (81), signalisierten damit ihren Rücktritt aus der Politik. Qiao, bislang die Nummer drei, galt als wichtigster Konkurrent Jiangs um das höchste Parteiamt, während Liu dessen Führungsstil wiederholt kritisierte.

Heute soll nun aus dem Zentralkomitee ein neues Politbüro hervorgehen, daß dann seinen ständigen Führungsauschuß nominiert – Chinas mächtigstes Gremium. Gestern wurde in Peking spekuliert, daß Gefolgsleute Jiangs die beiden freigewordenen Ämter übernehmen oder der Kreis von sieben auf fünf Mitglieder verkleinert wird. Es ist noch nicht klar, welche politische Richtung mit dem Wechsel in der Führung verbunden ist. Qiao gilt im Ausland zwar als reformfreudiger Politiker, dem eine Verbesserung des Strafrechts zugeschrieben wird. In China sah man in dem ehemaligen Geheimdienstchef jedoch einen Konservativen. Sein Rücktritt bedeutet, daß Premierminister Li Peng eine Führungsposition bewahren kann. Er wird wohl nach dem verfassungsmäßigen Ende seiner Amtszeit auf Qiaos Posten im Volkskongreß wechseln. Damit wird der Wirtschaftsreformer Zhu Rhongji die Nummer drei. Dies müßte Zhu nächstes Jahr das Amt des Premiers einbringen. Jiang hätte dann wieder denselben Wirtschaftsexperten, der ihm schon in Shanghai ausgezeichnet diente.

Doch nicht nur parteiintern ist Jiang derzeit erfolgreich. Während des Parteitags gab es keine größeren Zwischenfälle, und im Ausland gab es positive Reaktionen. Ein „Bonanza für ausländische Investoren“ witterte gestern das Wall Street Journal, nachdem Jiang die Reform der Staatsbetriebe versprochen hatte. An der Umsetzung dieses Versprechens wird sich später die Bedeutung des 15. Parteitags messen: Gibt der Staat sein Eigentum nicht ab und erwirtschaftet mit seinen Betrieben Milliardenverluste wie bisher, droht eine große Finanzkrise. Gelingt die Umwandlung in herkömmliche oder genossenschaftliche Aktiengesellschaften, könnte China bald die größte freie Marktwirtschaft der Welt sein. Georg Blume

Debatte Seite 10