Cogema hat versagt

WAA-Direktoren geben zu, Atommüll ins Meer geleitet zu haben: „Es ist ja nichts passiert“  ■ Aus La Hague Dorothea Hahn

Wie drei gescholtene Schuljungs sitzen die Männer aus der Chefetage der Wiederaufarbeitungsanlage am Kap La Hague vor den Journalisten. Vor ihnen auf dem Tisch steht ein Konservenglas mit Steinchen, die angeblich aus dem fünf Kilometer ins Meer hinausragenden Abflußrohr der Fabrik stammen. „Wir haben die Medienwirkung unterschätzt“, sagt Patrick Ledermann, der Direktor. „Aber es hat keine ernsthafte Kontaminierung gegeben.“ Statt in die Kameras blickt er unter sich. Auf der Stirn und um seine Nase bilden sich Schweißperlen. Er spricht so leise, daß die Journalisten ab der dritten Reihe nichts mehr verstehen können.

Seit Monaten erschwert sich der Stand der Cogema, der französischen Gesellschaft zur Verarbeitung nuklearen Materials mit weltweit 17.000 Beschäftigten. Besonders ihre Fabrik in La Hague, die neben den französischen Atomkraftwerken auch einen Großteil der abgebrannten Brennstäbe aus Deutschland weiterverarbeitet, steht unter Beschuß. Nach Berichten über das vermehrte Auftauchen von Leukämie in der Umgebung und über verstrahlte Muscheln aus dem Meer spitzte sich die Auseinandersetzung, bei der Greenpeace und die grüne Umweltministerin auf der einen Seite und der französische Atomkomplex auf der anderen Seite stehen, im Juli weiter zu: Die Cogema reinigte ihr Abflußrohr von jahrelangen inwändigen Ablagerungen.

Die Atomgegner hatten eine Umweltverträglichkeitsstudie vor Eröffnung der Baustelle im Meer verlangt. Die staatliche Aufsichtsbehörde DSIN hielt das nicht für nötig, bestand aber darauf, daß bei den Reinigungsarbeiten nicht das geringste radioaktive Material ins Meer geraten dürfe. Außerdem müßten alle Zwischenfälle wie üblich umgehend gemeldet werden.

Inzwischen sind die Arbeiten fast abgeschlossen. Aber entgegen den Zusicherungen der Atomtechniker hat es drei undichte Stellen an den Nähten des Rohrs gegeben. Außerdem wurden 50 Kilogramm Atommüll durch das Rohr ins Meer ausgestoßen, was in der gegenwärtigen französischen Diskussion schwerer wiegt: Die Aufsichtsbehörden wurden erst Tage später informiert. Und mehrere auf dem Meeresboden abgestellte Fässer mit kontaminiertem Werkzeug meldete die Cogema erst gar nicht. Statt dessen machte Greenpeace die Existenz „des Atommüllagers am Meeresboden“ öffentlich.

Das war am Wochenende. Seither kommt die Cogema nicht mehr zur Ruhe. Greenpeace erstattete in Cherbourg Anzeige wegen Verstrahlung der Umwelt. Die Aufsichtsbehörde bemängelte die verspäteten Mitteilungen der Cogema, auch wenn sie ihr bescheinigte, daß die vier Zwischenfälle allesamt „harmlos“ seien. Am strengsten aber schlug Umweltministerin Dominique Voynet zu. Sie geißelte in Paris die Fehler des zu 89 Prozent staatlichen Unternehmens, leitete dessen Bestrafung wegen Verstoßes gegen die Auflagen des DSIN ein und stoppte bis auf weiteres alle Reinigungsarbeiten.

Die Cogema, der jahrzehntelang niemand ins Geschäft geguckt hat, mußte reagieren. Binnen 24 Stunden organisierte das Unternehmen eine Pressekonferenz vor Ort. Direkt oberhalb des fraglichen Abflußrohres, im WAA-eigenen Gästehaus. Kleine Chartermaschinen flogen die Journalisten aus Paris ein. Zu sagen hatte ihnen die Direktion allerdings wenig. Da es sich nicht schickt, öffentlich diejenige Ministerin zu kritisieren, die mit dem atomfreundlichen Industrieminister die Arbeit der Cogema überwacht, mußten die Direktoren sich auf ein „mea culpa“ beschränken. „Es ist ja nichts Schlimmes passiert“, sagen sie immer wieder, „aber wir hätten früher Bescheid sagen sollen.“